Iran - Einblicke in eine andere Welt

28 TAGE I 952,62 KILOMETER I 8542 HÖHENMETER I 1X SKIFAHREN I 2X KRANK IM BUS


Der Iran ist ein schönes, vielseitiges Land, mit tollen Landschaften und freundlichen Menschen. Aber es ist eine Medaille mit zwei Seiten und ich werde auch vor viele Herausforderungen gestellt. Die Menschen denken anders, es herrscht eine andere Zeitrechnung, die Schrift ist fremd und es ist ein Land voller Zwiespalte und Konflikte. Konflikte zwischen Bevölkerung und Regierung. Konflikte zwischen Menschen untereinander. Konflikte zwischen einer weltoffenen, jungen Bevölkerung und traditionell denkenden Verfechtern des religiösen Regimes. Anhand der Geschichten, die ich auf meiner Reise mit dem Radl durch den Iran erlebt habe, möchte ich euch an dem Einblick teilhaben lassen, den ich in das Leben in diesem Land bekommen habe. Die Namen der Protagonisten in den pikanten Geschichten sind abgeändert, da ich niemandem meiner Gastgeber direkt in Schwierigkeiten bringen möchte. Ich selbst mache mir nach erneuten Überlegungen doch relativ wenige Sorgen, dass mir meine Erzählungen direkt zum Verhängnis werden, weshalb ich sie gerne direkt mit euch teilen möchte.


Die Route

In Norduz ging es über die armenisch-iranische Grenze. Von dort aus, musste ich zunächst an der Azerbaidschanischen Grenze entlang, Richtung Jolfa. Kurz vor Jolfa, bin ich dann links abgebogen und Richtung Süden gefahren. Die erste große Stadt auf meiner Route war Tabriz. Von Tabris aus habe ich die direkte Route entlang der Autobahn Richtung Teheran genommen. Vorbei an den Städten Zanjan und Quazvin führte mich mein Weg nach Buin-Zahra, von wo aus ich nach Karaj und schließlich in die Hauptstadt Teheran gekommen bin.
Von da an war die Reiserichtung Süden - der Wärme entgegen. Die beiden großen Ziele bevor ich ans Meer gekommen bin hießen Isfahan und Shiraz. Leider war ich aufgrund von Krankheit gezwungen ab Isfahan mit dem Bus zu fahren und so habe ich nur etwas über die Hälfte meiner gesamten Strecke mit dem Bus zurückgelegt. Der Vorteil dabei: Selbst wenn man den Busfahrer schmieren muss, damit er auch das Fahrrad mitnimmt, kommt man mit dem Bus im Iran sogar günstiger weg, als wenn man mit dem Rad fährt. Das Busticket ist so günstig, dass das Essen, in den Tagen in denen man mit dem Rad unterwegs ist, vermutlich teurer wäre. Dafür erlebt man natürlich nicht besonders viel. In Bandar-Abbas habe ich nach 28 Tagen im Iran dann die Fähre nach Sharjah genommen. Damit ist Etappe 2 meiner Reise erledigt und bei Etappe drei empfangen mich die Vereinigten Arabischen Emirate und der Oman, von wo aus ich nach Sri Lanka fliegen werde.


Video - Mit dem Radl im Iran 1

Video -  Mit dem Radl im Iran 2


Welcome to Iran

Am Anfang war ich noch sehr vorsichtig mit Fotos.
Am Anfang war ich noch sehr vorsichtig mit Fotos.

An der Grenze

An dem Grenzgebäude angekommen, komme ich mir vor wie Harry Potter, als er das erste Mal den tropfenden Kessel betritt. Alle glotzen mich an und wollen mit mir quatschen. Die pure Aufregung. Die Grenzüberschreitung selbst läuft überraschend problemlos. Ich hatte damit gerechnet, dass all meine Packtaschen auf Alkohol, Schmuddelheftchen oder Schweinefleisch durchsucht werden. Aber die Beamten haben genauso wenig Bock, meine ganzen Taschen zu durchforsten wie ich und winken mich einfach durch. Nur die Beamtin an der Passkontrolle nimmt sich extrem viel Zeit, um mich mit meinem Passbild zu vergleichen. Sooo sehr habe ich mich jetzt auch nicht! Aber vermutlich sehen Mitteleuropäer für sie alle gleich aus.
WELCOME TO IRAN! Sagen der Grenzbeamte und gefühlt 48 Iranerinnen und Iraner, die ganz aus dem Häuschen sind, als sie mich mit meinem Fahrrad sehen.
Die Zeitrechnung ist ab jetzt eine andere: eine halbe Stunde vor (solche Hipster) und 621 Jahre zurück. Wir schreiben ab jetzt das Jahr 1397 nach Mohammed. 


Auf der Suche nach meinen Zeltplatz für die Nacht, bekomme ich die Gelegenheit meinen ersten Smalltalk auf Persisch zu versuchen.

Ich: “Salam“

Iraner: „Salam! Blablablabla“

Ich: „Man Farsi balat nistam“ (Ich spreche kein Persisch)

Iraner: „Blablablabla"

Ich: „Almany“
Iraner: „Ah Almany. Germany, hm?! Heil Hitler!“
Ich: „Hm… ja… den gab’s auch… Ciao!“ - das üben wir lieber nochmal!
 Ein paar gute Spots direkt nach dem Grenzübergang habe ich hinter mir gelassen, weil es noch zu früh am Tag war. Jetzt gibt die Landschaft entlang der aserbaidschanischen Grenze, campingtechnisch leider wenig her. Ich finde dann jedoch einen einigermaßen geeigneten Platz für mein Zelt auf einer Art Feld zwischen flachem Gebüsch - halbwegs Sichtgeschützt. Ich bin endlich im Iran! :)


Zwei Soldaten mit Verfolgungswahn

Der erste Ausblick, wenn man die Grenze überquert. Beeindruckend!
Der erste Ausblick, wenn man die Grenze überquert. Beeindruckend!

Eine Soldatenkontrolle nahe der aserbaidschanischen grenze

Als ich am nächsten Morgen aufwache regnet es. Ich habe ohnehin nicht so große Lust auf Radfahren und beschließe erst aufzubrechen, wenn der Regen aufgehört hat. Ich schaffe es sogar mich umzudrehen und nochmal einzuschlafen. Ganz untypisch für mich - irgendwie habe ich das verlernt. 
Jedenfalls verbringe ich den Vormittag im Zelt und genieße das auch. Die Sonne wird heute nicht mehr rauskommen, doch gegen 13:00 hört es auf zu regnen und ich packe zusammen. Als ich gerade fertig bin kommen zwei Soldaten auf einem Motorrad auf mich zugefahren und steigen ab. Der eine ist etwas größer als ich und sieht von der Statur her wenigstens aus, als gehöre er auch ins Militär, der andere eher weniger. Doch beide tragen einen Camouflageanzug, der aussieht als hätten sie aus Versehen ein paar rote Socken mit in die Wäsche geworfen.

Die Anzüge haben einen deutlich rosanen Stich. Wie soll ich so jemanden ernst nehmen?
Dann startet eine aufwendige Verhör- und Durchsuchungsprozedur.
Während dem kleineren, schmächtigen Soldaten die ganze Nummer eher etwas unangenehm zu sein scheint, haut der Große richtig auf den Putz. Er kontrolliert meinen Ausweis, telefoniert in der Weltgeschichte herum und gibt meine Daten durch, um sie danach nochmals zu notieren. Dass ich tatsächlich einen Visa-Aufkleber in meinem Pass habe, scheint ihn tierisch zu ärgern, denn er fummelt die ganze Zeit daran rum. Zwischendurch spricht er mich immer wieder auf persisch an. Wenn er fertig ist, antworte jedes Mal ruhig, dass ich kein persisch spreche, was er damit quittiert, dass er das selbe nochmal und einfach etwas lauter sagt und später schreit, in der Hoffnung, dass ich ihn dann vielleicht verstehe.
Als nach mehreren Versuchen anscheinend endlich bei ihm angekommen ist, dass ich nicht plötzlich anfangen werde, mich auf persisch mit ihm zu unterhalten, widmet er sich meinen Packtaschen. Ich muss ihm immer helfen sie zu öffnen, dann durchwühlt er jede einzelne. Was ihm in den Weg kommt, drückt er zunächst mir in die Hand. Als meine Hände nach wenigen Sekunden voll sind, wirft er die restlichen Sachen einfach auf den schlammigen Boden. So langsam werde ich wütend, doch die beiden vollautomatischen Schusswaffen, die die  Soldaten auf dem Rücken tragen, sorgen dafür, dass ich meine Klappe halte. Unter anderem findet der Soldat in meinen Taschen eine Rolle Klopapier. Anscheinend hat er eine solche Rolle in seinem Leben noch nie gesehen, denn er hält sie mir mit fragendem Blick direkt unter die Nase. Als ich versuche, ihm pantomimisch zu erklären, wofür ich die Rolle benötige, scheint er die Geste, die ich durchführe misszuverstehen, denn er rastet komplett aus. Nur meine beschwichtigende Haltung und weitere erklärende Gesten, können den rasenden Uniformträger wieder zur Raison bringen. Sein Kollege steht unbeteiligt daneben und schaut etwas dümmlich drein. Als er die Wühlarbeiten endlich beendet hat, bedeutet er mir mit einer großzügigen Geste, dass ich meine schlammverdreckten Sachen nun wieder einpacken darf. Ich lasse mir schön viel Zeit, denn die Soldaten haben sich entschieden, die Sache nicht gut sein zu lassen, sondern mich weiterhin zu beobachten. Sie stehen nun also zwanzig Minuten neben mir und sehen mir dabei zu, wie ich die Einzelteile von ihrem Schmutz befreie und wieder in die Packtaschen einsortiere. Als ich fertig bin sagt der autoritäre: „Welcome to Iran“ und ich denke mir meinen Teil. Anschließend werde ich noch sieben Kilometer lang von den beiden „heimlich verfolgt“, was bedeutet, dass ich in meinem Rückspiegel beobachten kann, wie sie sich hinter mir von Einfahrt zu Einfahrt schlängeln. Die ganze Aktion ist super peinlich und eigentlich kann man darüber nur lachen, aber in diesem Moment bin ich ganz schön genervt!
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In sehr starkem Kontrast zu dieser Begegnung, steht eine Polizeikontrolle eine Woche später auf der Autobahn, als mich zwei Polizisten anhalten, mich fragen wo ich herkomme, um mir dann zu sagen, dass es eigentlich verboten ist, mit dem Fahrrad auf dieser Autobahn zu fahren und ich bitte acht geben solle. Dann wünschen sie mir eine gute Fahrt und achja... "Welcome to Iran!"
Da muss ich bis in den Iran fahren, um zum ersten Mal eine positive, ofizielle Begegnung mit der Polizei zu haben!


Haben sie schon Opium probiert?!

Eine selbstgemachte Wasserpfeife. Diese Geschenk habe ich an meinem zweiten Tag im Iran bekommen.
Eine selbstgemachte Wasserpfeife. Diese Geschenk habe ich an meinem zweiten Tag im Iran bekommen.

Ein Angebot Drogen zu nehmen

An dem Tag der Soldatenkontrolle, komme ich erwartungsgemäß nicht besonders weit. Das liegt zum einen daran, dass ich erst um halb drei losfahren kann, zum anderen und entscheidenderen Teil jedoch, dass ich bereits nach 20 Kilometern angehalten werde. „Hey my friend! Where are you from? - Ah Germany? Very good! Bayern Munschen! Michael Ballack!“ „Jaaa, Munschen. Genau da komm’ ich her!“ Und zack! schon sitze ich bei Mehti und seinen Freunden im Café und habe einen Schwarztee im Anschlag. Außerdem soll ich doch mal ein wenig Shisha rauchen und hast du eigentlich Hunger?! (Achtung!! Das Wort Shisha bezeichnet in der persischen Sprache, ein Werkzeug zum Konsum von Drogen und sollte nicht in der Öffentlichkeit benannt werden. Die Wasserpfeife, die wir als Shisha bezeichnen, heißt hier Galleon.) Ich ziehe also ein paar Mal und bekomme einen HotDog kredenzt. Edel ist der Laden nicht. Er gleicht vielmehr einem Schlachthaus, was sowohl Optik als auch Temperatur betrifft, aber wer nichts erwartet,hat auch keine Ansprüche und so bin ich glücklich eingeladen zu sein. Keiner der Anwesenden Personen spricht auch nur ein Wort mehr englisch, als in der Begrüßung bereits angewandt. Doch ich kann mich in das WLAN einwählen und es ist gerade stark genug, um meinen Google-Übersetzer zu betreiben. So können wir uns wenigstens ein wenig verständigen, wenn auch nur schleppend und oberflächlich.
Auf magische Art und Weise, scheint es sich wie ein Lauffeuer zu verbreiten, dass in der Dorfkneipe ein besonderer Gast sitzt, denn die Besucherzahl in dem Café steigt rapide. Irgendwie ist jeder über 5 Ecken mit dem anderen verwandt und so lerne ich Mehtis halbe Verwandtschaft kennen. Ich werde dann auch sogleich an seinen Onkel weitergereicht, denn er kann wenigstens ein kleines bisschen Englisch und Mehti muss dann jetzt auch los… Mein neuer Hauptgesprächspartner heißt Vahid und für ihn steht fest, dass ich bei dem kalten Wetter heute nicht mehr weiterfahren brauche, sondern ich heute sein Gast bin!
Sogleich möchte er auch aufbrechen. Er ist hobbymäßiger Jäger und möchte mich auf die Jagd mitnehmen. Ich bin etwas skeptisch, zusammen mit einem Mann, den ich seit fünf Minuten kenne, mit Schusswaffen zu hantieren. Und so gehen wir kurzerhand einfach zu ihm in die Werkstatt - Vahid ist Schreiner. Wir werden von dem jungen Hesam begleitet, ein schlitzohriger 20-jähriger Kettenraucher. In der Werkstatt ist es warm. Wir trinken Chai, rauchen Galleon und ich zeige den beiden ein paar deutsche Hits aus meiner Spotify-Playlist. Ich kann ihnen nur die Songs zeigen, die ich bereits auf mein Handy heruntergeladen habe, denn zu meiner Überraschung ist Spotify im Iran gesperrt. Wir haben viel Spaß und obwohl Vahid bestenfalls gebrochen englisch spricht, funktioniert die Konversation relativ gut, indem er etwas sagt, ich wiederhole, was ich glaube verstanden zu haben und er entweder nickt und ich dann darauf antworte oder er den Kopf schüttelt und es noch einmal probiert. Relativ schnell, kommen wir in dem Gespräch zu einem Punkt, an den ich in noch vielen weiteren Konversationen im Iran geraten werde. Es geht darum, dass Vahid sich im Iran gefangen fühlt und er sehr unglücklich mit der Regierungssituation ist. Er ist ein guter Handwerker, doch er verdient weder genug Geld, um bei seinen Eltern auszuziehen, geschweige denn eine Frau zu finden und zu heiraten. Na und ohne Hochzeit eben auch keine Beziehung zu einer Frau. Er ist nicht wirklich gläubig und wütend darüber, dass eine Idee für so viele Konflikte sorgt.
Die Stimmung ist nun ein wenig gekippt und Hesam klinkt sich aus. Nun sind Vahid und ich alleine in der Werkstatt. Er fragt: „You smoke crack?!“, „No“, „You try opium?!“, „no nothing! I don’t like it!“, „Haschisch?!“, „Sometimes, but I don’t want! Thank you!“ „Marc!!! Try Opium!“ sagt er dann mit großen Augen und springt auf. Aus einem Verschlag an einer Empore holt er einen, kleinen in Folie gepackten braunen Klumpen heraus und schmeißt seinen Brenner an, mit dem er davor die Kohle der Wasserpfeife erhitzt hat. Ich weiß nicht, um welche Droge es sich da wirklich handelt, aber ich bin mir sehr sicher, dass ich überhaupt kein Interesse habe es auszuprobieren. Ich sage nochmal in freundlichem Ton: „Thank you Vahid, but I really don’t want to try it!“ Doch Vahid ist nicht zu bremsen und er fängt an den braunen Klumpen und eine kleine Pfeife aus Glas auszupacken. So langsam wird mir die Situation extrem unangenehm und ich sage nochmal, nun vehementer, dass ich wirklich nicht bereit bin jetzt Drogen zu nehmen. Er entgegnet nur: „Is no problem Marc. One time is no problem!“ Dann klopft es an der Tür! Hastig packt Vahid alles weg. Gerade zum richtigen Zeitpunkt kommt meine Form in Rettung von Behnam, einem Freund von Vahid. Er scheint auch nichts von Vahids Geheimnis zu wissen, zumindest kommt das Thema zum Glück von nun an nicht mehr auf den Tisch.
Wir gehen dann zu dritt noch weiter in eine „Kneipe“ und trinken einen Tee. Die weiteren Konversationen über Google Translate, haben nun alle einen faden Beigeschmack. Ich werde nochmal zu einer Nachtjagd eingeladen und Vahid meint, „er möchte mit mir Spaß haben“. Kann man auch falsch verstehen. Ich beteuere, dass ich vom vielen Radfahren total erschöpft bin und nur noch schlafen möchte. Ich bin schlussendlich sehr froh, als wir bei Vahid zu Hause ankommen und zwei alte Herrschaften uns an der Tür begrüßen. Wir bekommen dann sogar noch ein Abendessen, ich kann duschen und darf dann in einem warmen Bett schlafen. Eigentlich ist gar nichts passiert und am Ende des Tages bin ich einfach nur freundlich bei jemandem zu Hause aufgenommen worden. Die Sorgen, die ich mir zwischendurch gemacht habe, fanden nur in meinem Kopf statt. 
Meine erste Kostprobe iranischer Gastfreundschaft. Irgendwie schön aber eben mit einem komischen Beigeschmack.


The Iranian Job

Wechselt man 100€ ist man im Iran ein reicher Mann!
Wechselt man 100€ ist man im Iran ein reicher Mann!

Geld wechseln im Iran

An meinem dritten Tag im Iran, schaffe ich es am Nachmittag nach Tabriz, die erste Großstadt auf meiner Reise durch den Iran. Zu meinem Glück, denn ich habe noch keine Gelegenheit gehabt Geld zu wechseln, oder mir eine iranische Sim-Karte zu besorgen und ab morgen sind drei Feiertage am Stück. Wie immer wenn ich in eine Stadt komme, kümmere ich mich zuerst um eine Unterkunft und einen sicheren Ort für mein Rad und mein Gepäck. Mit Wanda (meiner treuen Drahteselin), bin ich in der Stadt unflexibel und muss die ganze Zeit Angst haben, dass entweder etwas wegkommt oder kaputt geht. Deshalb muss ich mich darum zuerst kümmern, danach kann ich viel freier agieren. Die Suche nach einem guten und günstigen Hotel stellt mich direkt vor die erste große Herausforderung. Jedoch nicht, weil es keine guten günstigen Hotels gäbe, sondern vielmehr, weil sich jedes Mal, wenn ich kurz stehen bleibe, um etwas nachzuschauen oder mich zu erkundigen, wo es langgeht, eine riesige Traube an Menschen um mich herum versammelt, die alle wissen wollen wo ich herkomme und mir alle helfen wollen, das perfekte Hotel zu finden. Da bei zehn verschiedenen Personen auch zehn verschiedene Meinungen aufeinander treffen und die beteiligten Parteien anfangen, sich wild auf persisch um meine Gunst und die beste Unterkunft zu streiten, macht die Sache nicht besser und so stehe ich insgesamt ungefähr eine halbe Stunde bei Regen in der Kälte, friere und lasse mich abwechselnd von meinen Helfern in verschiedene Richtungen ziehen, ehe ich mich höflich aber bestimmt abwende, einfach davonfahre und innerhalb von fünf Minuten ein gutes Hotel, mit Radkeller und Frühstück, für umgerechnet 6,70€ die Nacht gefunden habe.
Ich habe für diesen Tag noch drei Aufträge, daher dusche ich kurz, ziehe mir normale Klamotten an und mache mich ohne weitere Umschweife auf den Weg. Das erstaunliche: ohne Fahrrad, Radklamotten und Helm, ziehe ich nur ab und zu ein paar Blicke auf mich, werde aber sonst weitestgehend in Ruhe gelassen. So fühle ich mich schon viel wohler, denn so kann ich mich einfach selbst ein wenig umschauen und wenn ich Hilfe benötige, kann ich einfach problemlos jemanden fragen und mir wird die Hilfe trotzdem niemals ausgeschlagen. 
Ich gehe auf direktem Wege zu dem großen Basar von Tabriz, der wie die ganze Stadt sehr alt und traditionell ist und begebe mich dort auf die Suche meinen ersten Auftrag zu erfüllen. Denn ohne Geld ist man natürlich aufgeschmissen. Im Iran ist das mit dem Geld ein wenig komplizierter, als im Rest der Welt. Denn seit 2012 ist der Iran aus dem internationalen Bankenverbund SWIFT ausgeschlossen worden, weil sie gegen das Atomabkommen verstoßen haben. Seitdem haben sich alle großen Bankinstitute aus dem Iran zurückgezogen und mit VISA, MasterCard oder American Express kann man hier nichts anfangen. Somit muss man die Menge an Bargeld, die man für seinen Aufenthalt im Iran benötigt, in Bar mitbringen. Möglichst in Euro oder US Dollar. Wenn man das Geld umtauschen möchte, so tut man das jedoch, wenn man schlau ist nicht in einer der unzähligen iranischen Banken. Diese Wechseln das Geld nämlich zu einem, von der Regierung vorgegebenen Kurs, welcher aktuell bei 1€:48.000 iranische Rial bzw. 4.800 Toman. Bei Rial und Toman handelt es sich um exakt dieselbe Währung, weil Rial jedoch so wenig Wert sind haben sie im Iran Toman eingeführt, bei denen man von den Rial einfach ein null am Schluss wegnimmt. Da der Kurs vorgegeben ist, sich die iranische Währung jedoch seit Jahren im freien Fall befindet, bekommt man auf dem Schwarzmarkt mehr als das dreifache für sein Geld. Da das private Umtauschen von Geld jedoch natürlich illegal ist, machen die Schwarzhändler aus der ganzen Umtauschaktion einen Aufriss, der (zumindest in meinem Fall) dem Drehbuch eines Gangsterstreifens gleicht. Und das aus gutem Grund! Denn gerade während meines Aufenthalts im Iran, sind angeblich - mit Sicherheit lässt sich das nicht sagen - zwei Männer wegen Schwarzhandels mit Geld zum Tode verurteilt worden, weshalb anschließend der Kurs auf dem Schwarzmarkt auch eingebrochen ist.
Der Umtausch hat sich folgendermaßen zugetragen: Marc geht auf dem Basar in einen Schmuckhandel. 
„Salam! Do you speak english?“ 
„Yes Sir! Where are you from?“ 
„Germany“ 
„Oh Germany! That’s so nice!“ 
„Yes, I would like to exchange money, please!“ 
„What?!“ 
„Exchange Money. Euro to Rial!“
Mann hinter dem Tresen zuckt zusammen.
„Oh, you can’t exchange money here! This is a jewellery store! Please go to to Mehri Bank on Emam Khomeni Street.“ (Jede zweite Straße im Iran heißt so!)
„I’m sorry, I can not go to a bank i guess. But no problem if you can’t help… I will just ask in the other stores then. Thank you!“
„Wait Sir! Please! So what did you say?! You have Euro?! How much would you like to exchange?“
„That depends on the trading course. If it’s less then 16.200 Rial, I would change 50€. If it’s better I’d exchange 150€“ (Ich hatte im Hotel den inoffiziellen Wechselkurs auf der Seite www.bonbast.com überprüft und er lag bei 1:16.500)
„I can give you this…“ tippt Betrag in Taschenrechner ein und schiebt in zu mir herüber. 16.400. Das ist ein guter Kurs!
„Alright then I’d exchange 150€ please.“
„OK Mister. Please sit down. You want tea?!“
Ich bekomme vom Gehilfen einen Tee gebracht. Währenddessen tätigt der Mann hinter dem Tresen zwei, drei kurze Anrufe. Ich werde den klassischen Fragenkatalog abgefragt: „Why you come to Iran? Tourist? You like Iran? What your job? You married or single?“ Ich antworte brav, mehr oder weniger wahrheitsgemäß auf alle fragen und trinke nebenbei den Schwarztee aus dem Plastikbecher. Als die Smalltalksalve langsam abebbt, kommt wie auf ein Kommando ein vierter Mann mit einer Plastiktüte in den Laden. Er begrüßt mich freundlich mit einem Handschlag, seine Kollegen ebenso. Dann geht er quer durch den kleinen Laden und entsorgt seine Plastiktüte im Mülleimer. Auf dem Rückweg wendet er sich mir zu: „My friend how are you today?! Before you leave, please make sure you grab the bag out of the bin and exchange it for your Euro. It’s 2.460.000 Rial. You can trust me. Thank you it was a pleasure!“ Er streckt mir seine Hand entgegen, dann schwebt er wieder aus dem Laden. 
Hab ich eben richtig gehört?! Ich soll mein Geld in den Mülleimer schmeißen?! Ich blicke verwirrt, zu dem Mann hinter dem Tresen, doch der ist schon lange wieder beschäftigt. Also tu ich mir, wie mir geheißen, schaue kurz in die Plastiktüte und erblicke drei große Stapel Scheine. Ich entscheide, dass mir wohl keine große Wahl bleibt, ich mich und die Leute nun nicht weiter in Verlegenheit oder eine unangenehme Lage bringen möchte und nehme die Situation einfach so hin. Die Zeit zu überprüfen, ob es sich um genug Geld handelt oder ich da eventuell eine Menge falscher Noten mitnehme bleibt mir nicht und so tausche ich den Beutel mit den Batzen iranischen Geldes gegen meine zwei Scheine aus, bedanke mich und verlasse den Laden. So heimlich und verboten habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt und ich kann nicht anders als mit einem Lächeln und Kopfschütteln zurück in die Richtung meines Hotels zu gehen.

SIM-Karte kaufen im Iran

Ähnliche Geheimnistuerei gab es, als ich am selben Abend noch losziehe, um eine SIM-Karte zu kaufen. Hier muss ich jedoch sagen, dass ich die Situation überhaupt nicht durchschaut habe und das Gefühl habe, dass es nicht die Regel zu sein scheint, wie es bei mir ablief.

Wie erwähnt, bin ich schon etwas spät dran und die nächsten drei Tage werden alle Geschäfte geschlossen sein. Also um genau zu sein ist es 17:50 Uhr und um 18:00 Uhr machen angeblich alle Geschäfte zu. Ich erkundige mich an der Hotelrezeption nach dem Weg zum nächsten Geschäft für SIM-Karten und mir werden zwei Läden direkt in derselben Straße empfohlen - ich solle auf jeden Fall nach Iran-Cell fragen, das sei der beste Anbieter für mich. Also gehe ich zu dem ersten Geschäft, ein größerer Laden, in dem ein Mann hinter dem Schalter sitzt. Ihm gegenüber ein paar andere Männer, alle trinken Chai.
"Salam... I need a Sim-Card!"
"Sim-Card?! Iran-Cell?"
"Yes"
"No, don't have! Go to other store!"
Also gut. Gehe ich zum anderen Store, eine Chance habe ich ja noch.
Diese Geschäft ist wesentlich kleiner. um genau zu sein besteht der Laden nur aus einem Eingang und einem Tresen, der ca. einen Meter lang ist. Außer Sim-Karten wird hier nichts verkauft. Ein alter Herr steht vor dem Tresen und unterhält sich dort mit einem anderen.
"Salam, excuse me, I would like to buy a SIM-Card."
"..." ein unverständlicher Blick und ein Schulterzucken.
"SIM-Card?! - Iran-Cell?!"
"No Iran-Cell! Other Store"
"I've been there already, they sent me here!"
Doch es ist aussichtslos. schließlich spricht der Mann kein Englisch. Geknickt gehe ich wieder vor die Tür. Von der Seite werde ich angquasselt:
"Hello Mister! Welcome to Iran! Where are you from?! Ah Germany- that's great! Here try one of my figs!" sagt er und deutet auf zwei Säcke mit Feigen die neben ihm auf dem Boden stehen.
Ich nehme mir eine Feige, eine recht mehlige.
"What do you need? A SIM-Card?!"
"Yes, but both stores said they don't have SIM-Cards... I don't understand it, that's all they sell."

"OK, but you have to say 'no Iran-Cell'!"
"Why the people in my hotel..."
"Hurry! They will close soon! And then you come back and buy some figs!"
"Alright thanks!"
Und ich mache auf dem Absatz kehrt und betrete erneut den Laden. Der Alte betrachtet mich erneut. Müde und gelangweilt.
"Sorry Mister. I need any kind of SIM-Card! Iran-Cell is not important! Any kind!"
Achso, der versteht mich ja gar nicht!

"Sim-Card!" versuche ich es etwas simpler und halte ihm mein Handy unter die Nase.
Der Mann rollt mit den Augen, holt sein Jarket hinter dem Tresen hervor und schiebt mich aus seinem Geschäft. Dann sperrt er von außen den Laden ab, schlüpft in sein Jarket, stapft los und befiehlt mir über die Schulter: "come!"
Also folge ich ihm. Wir gehen 200 Meter, dann biegen wir in eine Nebenstraße ein. Nochmal 100 Meter, dann betreten wir ein Geschäft zu unserer linken. Es gibt dort religiösen Krimkrams zu kaufen. Die Treppe runter und durch ein paar Plastikschleier. Plötzlich stehen wir in einem Post-Office. Dort werde ich von dem Mann zu einem Schalter gebracht, hinter dem eine Frau sitzt. Er quatscht kurz mit ihr, dann dreht er sich wortlos um und geht.
"Passport please!" sagt die Frau. Ich gebe ihr meinem Pass. Den haben sie in der Türkei und in Armenien auch schon beim SIM-Karten Kauf verlangt.
Dann ist die Frau eine Viertel Stunde mit Tippen beschäftigt. Ich werde nicht weiter beachtet. Als sie fertig ist muss ich zwei Zettel unterschreiben und jeweils den Fingerabdruck meines Zeigefingers daruntersetzen.
"Your Sim-Card is now activatet! You have 15 Gig of Highspeed!"
"Perfect, thank you! What does that cost?"
"36.000 Toman please" (360.0000 Rial - ca. 2,30€)
Ich bezahle, nehme den Umschlag mit meiner neuen Sim-Karte entgegen und verlasse den Laden.
Also wenn im Iran alles so geheimnisvoll und aufregend ist, wie das Geld wechseln und SIM-Karte kaufen, erwarten mich hier spannende vier Wochen!

Dienste die im Iran gesperrt oder nicht verfügbar sind:

  • PayPal
  • Spotify
  • Youtube
  • Nachrichten von ausländischen Nummern (auch auf Instagram)
  • sämtliche VPN-Seiten
  • Facebook
  • Google-Maps (PC)

    Bemerkenswert hierbei ist, dass die Dienste auf mobilen Endgeräten und PCs unterschiedlich eingestuft werden.
    Mit VPN Clients lassen sich die Blocks umgehen. Ich habe lange gebraucht, bis ich die richtigen Clients gefunden habe, die meisten können nämlich im Iran keine Verbindung aufbauen. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um Freeware oder einen bezahlten Client handelt.
    Am Schluss habe ich für Handy und Laptop jeweils den richtigen Client gefunden.
    Laptop: Express VPN
    Handy: Turbo VPN (Google Play Store)

Dustet dâram

verlieben und beziehungen im Iran

(Iranische Webkunst - Wenigstens die Teppiche in dem Hotel waren schön)

Heute ist mein Geburtstag, deshalb habe ich gestern so Gas gegeben und mich bemüht, noch alles zu regeln, was es zu regeln gibt, um an meinem Geburtstag genau das zu machen, worauf ich Lust habe. Nämlich nix!

Beim zugegebenermaßen armseligen Frühstück in meinem Hotel, werde ich von einer jungen Frau beobachtet. Sie gibt sich keine große Mühe es zu verbergen. Nach dem Frühstück, passt sie mich ganz zufällig ab, als ich auf dem Weg zu meinem Zimmer bin. Sie heißt Romisa, kommt aus dem Iran, ist 28 Jahre alt und Anästhesistin. Letzteres erzählt sie mir in den zwei Minuten, die wir uns unterhalten, geschlagene viermal. Das kam mir zu diesem Zeitpunkt schon merkwürdig vor, aber leider anscheinend nicht merkwürdig genug, denn ich nenne ihr den Namen meines Instagram-Profils. Meine Handynummer "fällt mir leider gerade nicht ein". Kaum auf dem Zimmer angekommen, bekomme ich die erste Nachricht. Romisa möchte mir am Nachmittag ein wenig die Stadt zeigen. Ich sage, dass ich leider schon verplant bin. Anschließend putze ich in dem Badezimmer des Hotels ausgiebig mein Fahrrad, das vor Dreck nur so strotzt und reinige auch mein Zelt. Dabei höre ich Hörspiel und bin zufrieden und vor allem glücklich, dass ich quasi durchgehend die allerliebsten Geburtstagsnachrichten von meinen Freunden aus der Heimat bekomme. Danach mache ich einen kleinen Stadtspaziergang. Weil heute Feiertag ist, haben die meisten Geschäfte zu, aber ich treffe Ali, einen Englischlehrer im Ruhestand und quatsche ein wenig mit ihm. Er bringt mich dann auch zu einem Supermarkt, der trotz des Feiertags geöffnet hat, wo ich mir Wasser und ein paar Kleinigkeiten die ich brauche, kaufen kann. Außerdem kaufe ich drei Flaschen Delster Malzlimonade, weil die wirklich genial schmeckt und mein Bier-Ersatz für meinen diesjährigen Geburtstag darstellt. Zurück im Hotel, habe ich ein paat neue Nachrichten von Romisa erhalten. Sie hat durch meine Story auf Instagram erfahren, dass ich Geburtstag habe und möchte mich zum Abendessen einladen. Ich weiß, dass das zwar ein Flirtversuch ihrerseits ist, die Vorstellung an meinem Geburtstag in Gesellschaft zu Abend zu essen ist jedoch verlockend und mal ehrlich, was soll schon passieren?! Als es dann Abend ist und wir uns vor dem Hotel treffen, bin ich mir bei der ganzen Sache schon wieder nicht mebr so sicher. Romisa hat einen "Chaffeur" bestellt. Mir geht durch den Kopf, dass ich jetzt entweder auf eine ganz billige Entführermasche reingefallen bin, oder die Abendessenssache unterschätzt habe und ich mich nun inmitten eines waschechten Dates wiederfinde. Zweiteres entpuppt sich als Wahrheit. Wir fahren nämlich nicht in irgendein Lokal. Wir fahren in ein fünf-Sterne Hotel, das schickste was Tabriz zu bieten hat. Romisa erzählt mir auf der Fahrt noch einige Male von ihrem Beruf. Meine Fragen über den Iran versteht sie meist nicht und so beschränkt sich die Konversation hauptsächlich auf eine Frage die ich ihr stelle, gefolgt von einem Kichern ihrerseits... Dann wird ein Selfie gemacht. Bis zum Ende des Abends bestimmt 30 Stück. Nach dem Essen möchte sie noch einen Kaffee mit mir trinken gehen. Auf dem Weg zum Café, fordert sie mich mehrfach auf mit ihr Händchen zu halten. Zum ersten Mal bin ich froh, dass ich von Natur aus immer kalte Hände habe, denn so habe ich ein Argument, meine Hände weiterhin in meiner Jackentasche zu vergraben. Ich möchte nicht gemein sein, aber ich möchte ebenfalls nicht wissen, was passiert, wenn man einem iranischen Mädchen Hoffnungen macht, wo ich doch so gar kein Interesse habe. Später erfahre ich, dass ich ebendas leider schon getan habe, als ich mich am Morgen kurz mit ihr unterhalten habe. Im Iran gilt das anscheinend als klares Signal, dass man sich äußerst sympathisch findet und alles,was einer Hochzeit im Weg steht praktisch nur noch Förmlichkeiten sind. OK... das ist jetzt vielleicht ein klein bisschen überzogen, dennoch werde ich beim nächsten Mal wesentlich vorsichtiger sein. Die Menschen hier ticken einfach in sehr vielen Dingen anders. Das werde ich in den nächsten Tagen noch mehrfach deutlich zu spüren bekommen. Ich bin jedenfalls froh, an meinem Geburtstag nicht alleine zu Abend gegessen zu haben, aber doch irgendwie froh, alleine ins Bett zu gehen.


Seyyed-Mohammed

Seyyed-Mohammed war beinahe der einzige Radfahrer, den ich während meiner gesamten Zeit im Iran getroffen habe und es ist eine besondere Freundschaft entstanden.
Seyyed-Mohammed war beinahe der einzige Radfahrer, den ich während meiner gesamten Zeit im Iran getroffen habe und es ist eine besondere Freundschaft entstanden.

Porträt eines besonderen Menschen

Ich habe Seyyed an einer Verkehrsampel in Tabriz kennengelernt. Er hat mich eingeladen ihn in den nahegelegenen El-Goli-Park zu begleiten. Da ich mir vorgenommen hatte, im Iran allen Einladungen nachzukommen, die nicht komplett gegen meine Planung agierten, bin ich an der Kreuzung mit ihm abgebogen und bin ihm in den Park gefolgt. Sein Englisch war nur unwesentlich besser als mein Farsi und so waren unsere Unterhaltungen ziemlich limitiert. Auch mit Google translate sollte es nicht so richtig funktionieren. Später habe ich heausgefunden, dass es bei Seyyed sehr auf die Situation ankommt, in der es sich gerade befindet, wie gut er (englisch) sprechen kann. Da ich zu diesem Moment noch ein Fremder war, war er wohl etwas nervös und hat sich deshalb nicht so richtig getraut. Das Seyyed kein außerordentlich großes Selbstvertrauen hat, ist nicht besonders verwunderlich. Seyyed ist 38 Jahre alt und gelernter Automechaniker, doch aktuell is er arbeitslos. Er schämt sich sehr dafür, weshalb ich bis heute nicht aus ihm herausbekommen habe, wie lange das schon so ist. Selbst wenn er einen Job hätte, würde er als Automechaniker jedoch höchstwahrscheinlich nicht genug verdienen, um sich eine Hochzeit leisten zu können. Und im Iran gilt: keine Hochzeit, keine Frau. Also wohnt Seyyed noch bei seinen Eltern. Er kann es sich nicht leisten auszuziehen und der einzig legitime Grund dafür wäre auch, um mit seiner Ehefrau zusammen zu ziehen. Seine Eltern lieben ihren Sohn sehr, doch als ich die gesamte Verwandtschaft kennenlerne, wird sehr schnell deutlich, dass Seyyed in der Familie als Sonderling gilt. Denn Seyyed stottert. Gerade seine Schwester und ihr Mann, belächeln ihn eher, als dass sie ihn respektieren. Deshalb ist Seyyed auch viel schüchterner und er stottert stärker, wenn er in ihrer Gegenwart ist. Doch ich habe das Gefühl Seyyed hat sich dieser Rolle bereits lange gefügt. Er ist immer der, der zuerst schaut, dass es allen anderen gut geht, bevor er sich um sein eigenes Wohl sorgt. Immer darauf bedacht, allen Leuten in seiner Umgebung, ihre Wünsche von den Lippen zu lesen. Er erledigt immer alle Aufgaben, bevor jemand anderes die Chance hat, sich ihr anzunehmen. Bei keinem Mann, dem ich im Iran begegnet bin, hatte ich das Gefühl, dass er mehr unter den Umständen, die ein Leben in diesem Land mit sich bringt, gelitten hätte, ohne es selbst zu merken.
Seyyed ist ein Bergliebhaber. Seine große Leidenschaft sind das Wandern, das Mountainbiken und vor allem das Campen. Dort kann er, er selbst sein und sich komplett frei fühlen. Auch bei Bergleuten unter sich, kommt es im Iran ausnahmsweise mal nicht darauf an, welchen Beruf man ausübt und wie viel man dabei verdient. Als nach unserem Aufenthalt in Tabriz meine Freunde Benni und Catha mit Seyyed in die Berge fahren, um dort drei Tage zu wandern, lernen sie einen komplett anderen Menschen kennen. Er blüht auf, ist aufgedreht und glücklich, statt zurückhaltend. Er ist natürlich auch stolz, dass er den beiden sein Revier zeigen kann und erweist sich indes auch als ausgezeichneter Bergführer. Auf dem Berg vertraut er den beiden auch an, dass es da ein Mädchen bzw. natürlich eine Frau gäbe, die er auf einer Bergtour kennengelernt hat und in die er sich verliebt habe. In seiner Familie, darf das auf keinen Fall jemand erfahren, da es gegen das Sittengesetz verstößt, eine solche Art von Beziehung zu haben, oder sich überhaupt mit einer Frau zu treffen, mit der man nicht bereits einen Termin zur baldigen Heirat hat. Seine Flamme wohnt in Teheran und so ergibt es sich, dass Seyyed spontan entscheidet, sich Benjamin und Catha anzuschließen, um mit ihnen gemeinsam nach Teheran zu fahren, wo sie mich auch wieder treffen werden.
In Teheran laden wir Seyyed auf ein Zimmer in unserem Hostel ein (etwas, was er sich nie hätte leisten können) und er bleibt die vollen drei Tage mit uns dort, erkundet mit uns die Stadt, spielt mit uns Tischkicker und lässt sich von uns bekochen. Das Treffen mit seiner "Freundin" platzt leider. Es stellt sich heraus, dass sie vermutlich erkannt hat, dass er nicht gut betucht ist und ihn deshalb hat fallen lassen. Er hatte sich extra für sie in Unkosten gestürzt und einen Strauß Rosen und eine Schachtel mit den feinsten Leckereien gekauft. Es hat uns das Herz zerrissen, ihn zu sehen, als er diese Nachricht realisiert hat. Den Blumenstrauß hat er dann Catha geschenkt. Die Süßigkeiten sind größteinteils Benni und vor allem mir zum Opfer gefallen.
Während der drei Tage in Teheran kam wieder sehr häufig sein Charakter zum Vorschein, der mehr darum besorgt ist, uns alles recht zu machen als alles andere. Scherze wie: "Gestern hast du uns noch ein Omelette zum Frühstück gemacht, was gibt es heute?!", darf man nicht machen, weil das zur Folge hat, dass er, koste es was es wolle, zwei Eier organisiert und ein Omelette zubereitet. Auch möchte er uns ständig auf Taxifahrten und alles mögliche einladen und wenn man ihn deshalb einmal halbernst ermahnt, dass er das nicht zu tun braucht bzw. nicht tun soll, wandelt man nur sehr schwer, den schuldbewussten Gesichtsausdruck, den er dann auflegt, wieder in ein Lächeln um.

Als wir uns am Ende unseres Teheran-Aufenthaltes von Seyyed verabschieden, sind wir uns sicher, dass er die nächsten 20 Jahre von seinen deutschen Freunden erzählen wird. Man hat das Gefühl, die gemeinsame Woche hat auf irgendeine Weise nachhaltig sein Leben verändert und es bleibt wirklich nur zu hoffen, dass die Zeit mit uns ihm einen kleinen Stoß an Selbstvertrauen verpasst hat. Ich wünsche ihm, dass er sich bald aus dem Schoß seiner erzkonservativen Familie erhebt, rausgeht und einen Job als Bergführer findet, ja vielleicht sogar in die Berge zieht. Und wer weiß, vielleicht kann er sogar ein wenig Abseits der gesellschaftlichen Regeln, eine Beziehung führen, mit einer Frau, die ihn nicht nach seinem materiellen Besitz beurteilt, sondern als der wunderbare Mensch, der er ist.

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Nach Teheran ruft mich Seyyed nun fast täglich an. Als ich ihm sage, dass ich krank bin und gerade im Bus nach Shiraz sitze, habe ich große Mühe, ihn davon zu überzeugen, dass ich es auch überleben werde, wenn er sich jetzt nicht sofort ins Auto setzt, um die 1.400 Kilometer weite Strecke zu fahren und mir zu helfen. Da ist er eben typisch Iraner! Super freundlich, aber häufig ein wenig über's Ziel hinaus! ;)


konflikte und missverständnisse

Heute ist ein Tag vieler Misverständnisse. Also geht alles gewissermassen so weiter wie bisher. Da Hassan morgens zu Arbeit muss, bietet er mir an, in der Wohnung seines Cousins Ali zu bleiben, in der auch mein Fahrrad steht. Eigentlich wollte ich ja heute bereits weiter nach Teheran, um Catha und Benni wieder zu treffen, doch es hat sich herausgestellt, dass sie zusammen mit Mohsen (der deutsch sprechende Onkel von Seyyed) auch nach Karadsch gefahren kommen, weshalb wir beschlossen haben uns eben in Karadsch zu treffen. So weit so praktisch. Ich habe einen Ruhetag und eine Wohnung in der ich bleiben kann und am Abend treffe ich meine Freunde, wir haben ein Abendessen und einen Schlafplatz. Der Tag ist jedoch von zwei Konflikten geprägt. Sie stehen für mich beide sinnbildlich für den Iran, wo aufgrund von Höflichkeit, Stolz, kulturellen und gesetzlichen Regeln und offensichtlich auch Kommunikationsschwierigeiten, alles etwas komplizierter zu sein scheint.

Nummer 1 - Marc/Hassan:
Ursprünglich meinte mein Freund Hassan, dass er, nachdem er seine Aufgaben in der Arbeit erledigt hat, steigt er wieder ins Auto und fährt die eine Stunde von Buin-Zahra nach Karadsch, um mit mir den Abend zu verbringen und meine Freunde zu treffen. Am Nachmittag ruft er an und sagt, dass er es heute leider doch nicht mehr schaffen wird. Also schreibe ich Benni, dass sie mich evlt. doch mit dem Auto aufgabeln müssen, da es schon dunkel ist, ich in der Dunkelheit ungern auf iranischen Straßen unterwegs bin und es das Angebot von Mohsen, mich abzuholen bereits gab. Als alles geklärt scheint, ruft Hassan an und sagt mir, dass er es doch schaffen würde und in zwei Stunden da sein kann. Ich sage ihm, dass ich mich natürlich freuen würde, ihn nochmal zu sehen, ich nun aber von meinen Freunden abgeholt werde und wir anschließend noch zum Essen eingeladen sind und ich sie keine weiteren anderthalb Stunden aufhalten kann. Was bei Hassan ankam: "Ich freue mich dich zu sehen!" Eine gute Stunde später bekomme ich die Nachricht von Benni, dass sie nun da seien. Ich packe also meine Sachen in den Aufzug und rufe Hassan an. Der braucht noch eine halbe Stunde. Ich sage ihm, dass da vier Leute sind, die seit sechs Stunden auf der Autobahn, müde und hungrig sind und eine fünfte Person zu Hause auf uns wartet und ich sie jetzt nicht länger aufhalten kann. Zu diesem Zeitpunkt ist es bereits halb zehn Uhr abends. Leider ist das Resultat, dass Hassan sehr, sehr beleidigt ist, mir eine gute Reise wünscht und auflegt. Als ich ihm in einer SMS erkläre, dass ich ihn auch einladen wollte nach zu kommen und es mir wirklich leid tut, dass dieses Misverständnis entstanden ist, antwortet er nur: "Ich bin extra für sie kommen. Ihre Freunde bestimmt nette Menschen." Was er mit dem zweiten Satz genau ausdrücken möchte weißt ich nicht zu 100 Prozent. Klar wird jedoch, dass er mir sehr beleidigt ist, obwohl ich ihn nie gebeten habe, extra nochmal ins Auto zu steigen. Ich verlasse die Wohnung seines Cousins mit einem schlechten Gefühl, dabei habe ich mir eigentlich keine Vorwürfe zu machen.

Nummer 2 - Mohsen/Seyyed-Mohammed

Seyyed habt ihr ja bereits kennengelernt. Mohsen ist über ein paar Ecken mit Seyyed verwandt, wirklich kennen, tun sich die beiden aber nicht. Mohsen hat mit seiner Familie einige Jahre in Hamburg gewohnt und spricht demenetsprechend etwas deutsch. Er ist ein ganz aufgeweckter Mann, der uns gegenüber zwischendurch ab und zu so tut, als würde er nicht genau verstehen, während wir das Gefühl haben, dass er uns sehr wohl und ganz genau versteht. ;)
Als Benni und Catha mit Seyyed vom Berg zurückkommen, können sie eine weiter Einladung in die Höhle der Löwen (zu Seyyeds Schwester) abwenden und endlich Mohsens sehnlichem Wunsch nachkommen, ihn auch mal in seinem zu Hause zu besuchen. Bei ihm, seiner Frau und seiner Tochter Mobina zu Hause geht es wesentlich liberaler zu. Sie legen im Haus auch nicht so viel Wert auf die Kopftuchpflicht, auch nicht, wenn Gäste da sind. Mohsens Mutter wohnt in Karadsch, der Großstadt, direkt neben Teheran. Seine Schwester wird auch für zwei Wochen aus Deutschland zu Besuch kommen und so hatte er ohnehin vor zu seiner Mutter zu fahren, also bietet er Catha und Benni an, sie die 500 Kilometer weite Strecke von tabriz nach Karadsch einfach mitzunehmen. Aufgrund der Sache mit dem Mädchen schließt Seyyed sich der Gruppe an, jedoch im eigenen Auto. Nun zum Konflikt:
Seyyed und Mohsen kennen sich wie gesagt eigentlich kaum, daher wissen sie nicht, wie sehr sie sich gegenseitig vertrauen können. Seyyed traut sich deshalb nicht, Mohsen anzuvertrauen, dass er die ganze Fahrt auf sich nimmt, um ein Mädchen zu treffen. Dies könnte schließlich wegen der gesellschaftlichen und gesetzlichen Repressalien auf ihn zurückfallen. Dass Mohsen mit dieser Information überhaupt kein Problem hätte und ihm vielleicht sogar noch einen gut gemeinten väterlichen Rat mitgeben würde, sprengt Seyyeds Vorstellungskraft.
Mohsen hingegen merkt natürlich, dass etwas faul ist und Seyyeds schlecht zusammengeschusterte Geschichte von einem Freund, den er besuchen möchte nicht ganz stimmt und sagt folgerichtig: "Ich kenne diesen Mann kaum, keine Ahnung, ob das eine gute Seele ist oder nicht, aber ich lasse definitv keinen iranischen Mann im Hause meiner Mutter übernachten, von dem ich weiß, dass er ein Lügner ist."
Seyyed hingegen findet es überhaupt nicht gerecht, dass Mohsen uns einlädt, bei ihm zu bleiben und ihn nicht und findet es unverschämt, dass Mohsen ihn einen Lügner nennt. Als wir ihm erklären, dass es aber nun mal eben eine Lüge ist, wenn man eine erfundene Geschichte statt der Wahrheit erzählt, mag er uns in diesem Punkt auch nicht so ganz verstehen. Letzten Endes läuft es darauf hinaus, dass wir alle gemeinsam, im Haus von Mohsens Mutter zu Abend essen und Mohsen sich auf unser Drängen hin, schon damit abgefunden hat, dass Seyyed auch dort schlafen wird. Seyyed ist jedoch in seinem Stolz zu sehr gekränkt, da er nicht von vornherein eingeladen wurde und fährt dann noch Mitten in der Nacht zu irgendeiner anderen Verwandtschaft, um dort zu übernachten. Benni, Catha und ich stehen bei diesem Konflikt zwisdchen den Fronten und versuchen zu vermitteln, ohne dabei Seyyeds Geheimnis preiszugeben, da wir das nicht für unsere Aufgabe halten. Es ist unewahrscheinlich anstrengend und an diesem Tag wie gesagt der zweite große Konflikt, mit dem ich mich beschäftigen muss. Und so ist es kein Wunder, dass ich am Ende des Tages mal wieder komplett platt bin, ohne einen Tritt geradelt zu sein.
Konfliktsituationen wie diese beschreiben aus meiner Sicht das Miteinander im Iran sehr gut. Alles kommt mir wahnsinnig kompliziert und umständlich vor und Tugenden wie stolz, spielen eine sehr große Rolle. Und naja... stolz... Ich finde es gibt wichtigere Tugenden!


"Hello my friend! - Where are you from?"

Gastfreundschaft im Iran
Spricht man einmal mit einer Person, die den Iran bereist hat, so hört man häufig den Satz: „die Iraner sind das wohl Gastfreundlichste Land der Welt!“ 
Viele Nationen beanspruchen diesen Titel für sich. Im Iran hat man jedoch das Gefühl, dass bereits im Kindergarten die Leute darauf geeicht werden, Touristen möglichst offenherzig in ihrem Land zu begrüßen. Denn egal wo man ist, mit wem man spricht oder nicht spricht, der Satz: „Welcome to Iran!“ gehört zum Standartrepertoire eines jeden. Dabei spielt es keine Rolle wie alt der Gesprächspartner ist, oder wie gut er/sie sonst englisch spricht. Das beginnt beim Grenzübertritt und hört erst wieder auf, wenn man das Land wieder verlassen hat. Das schöne dabei ist, egal wie inflationär dieser Satz als Alltagsfloskel rausgefeuert wird, bei den meisten Leuten hat man das Gefühl, dass sie es wirklich ernst meinen. Die Iraner freuen sich darüber, dass man ihres fragwürdigen Rufes zum Trotz, aus dem geordneten Mitteleuropa aufbricht, um sich das Heimatland der Perser, mit eigenen Augen anzuschauen. Viele Iraner freuen sich sogar so sehr darüber, dass sie einem gleich ihre Taschenuhr, den nächsten Einkauf oder die eben absolvierte Taxifahrt schenken wollen. Aber Achtung! Geschenk ist nicht gleich Geschenk. Es kann sein, dass dein Gegenüber dir diese tollen Angebote nur aus Höflichkeit macht. Also erst zweimal höflich Ablehnen, erst wenn man die Taschenuhr ein drittes Mal Angeboten bekommt, kann man sich sicher sein, dass das Angebot auch ernst gemeint ist. Dieses Spiel nennt sich Tarov und ist in der persischen Kultur Gang und Gäbe. Eine Form der Höflichkeit eben. Doch bei diesem Spiel ist etwas Kreativität gefragt. Etwas einfach abzulehnen wird häufig als Beleidigung aufgefasst. Daran bin ich am Anfang des häufigeren gescheitert. Obwohl ich um die Höflichkeitsform des Tarov wusste, habe ich höflich aber bestimmt abgelehnt und damit meine Gesprächs- bzw. Verhandlungspartner verärgert, weil ich keinen guten Grund genannt habe, um abzulehnen. Ein einfaches „Nein ich möchte nicht“ reicht nicht aus. Man muss sich einen guten Grund einfallen lassen, damit der Gegenüber sein Gesicht wahren kann. Ein typisches Gespräch sollte ungefähr so aussehen:
„Hallo mein Freund! Wo kommst du her… blablabla… Komm doch heute Abend mit zu mir, ich lade dich zum Essen und Schlafen ein. Meine Frau kocht uns etwas schönes!
„Oh vielen Dank, aber ich kann nicht… Ich habe bereits eine Reservierung in einem Hotel!“
„Ach komm schon! Eine Reservierung kann man stornieren!“
„Oh nein wirklich. Ich habe auch bereits eine Anzahlung gemacht. Ich würde wirklich gerne im Hotel bleiben.“
„Keine Widerrede mein Freund! Du bist heute mein Gast!“
Und dann kann man sich sicher sein, dass die Einladung ernst gemeint ist und man kann entscheiden, ob man sich darauf einlässt, oder ob man noch einige Male ablehnt, bis der Gönner das Nein akzeptiert. Um gute Ausreden sollte man hierbei weiterhin nicht verlegen sein. Meistens wird das Nein sowieso nicht akzeptiert.
Folgt man dann einer Einladung, gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie die Einladung verlaufen kann. Das Spektrum reicht von: der Gastgeber ist wirklich cool, man bekommt ein üppiges Abendessen aufgetischt - je mehr man davon isst, desto besser wird die Qualität als Gast eingestuft - und am nächsten Tag liegt man sich bei einer aufwändigen Abschiedszeremonie in den Armen, tauscht Nummern/eMails und Adressen aus und kann dann aber wieder gestärkt seines Weges ziehen.
Bis: Aufgrund mangelnder sprachlicher Fähigkeiten beider Parteien, hat man sich nach kurzer Zeit nichts mehr zu sagen. Das einzige was man ausgetauscht hat, ist der übliche iranische Fragenkatalog, der mittels der Google-Translate-App abgearbeitet wurde. Dann werden zahllose Bilder von einem gemacht. Hierzu wird die gesamte Verwandtschaft aus dem Umland eingeladen. Jeder innerhalb eines Zwei-Stunden-Autofahrt Radius rückt an und man muss mit jedem einzelnen, in jeder erdenklichen Konstellation Fotos mit verschiedenen Kameras machen. Vor dem Familiengeschirr, auf dem Sofa und ganz wichtig, mit dem Fahrrad!
Anschließend sitzt man da - meistens gibt es Schwarztee - und man wird angeschaut, von allen. Die blonden Haare werden genauestens inspiziert und auch das ganze Equipment, das man mitgebracht hat, wird angeschaut und auseinander genommen. Privatsphäre und Seelenfrieden hat man an der Tür abgegeben. Nach der Kräfte zehrenden Foto- und Anschauprozedur wird das Bett bereitet. Natürlich wird man beim Einschlafen angeschaut, damit man auch ja nicht flieht bzw. etwas unerwartetes passiert. Unter den wachenden Augen der Mutter, die bereits das Frühstück bereitet wacht man am nächsten Tag auf. Beim Frühstück wird einem dann erklärt, dass es bereits einen Plan für den heutigen Tag gibt. Und das ist jetzt ein ganz entscheidender Moment! Wenn man hier nämlich nicht mit aller Vehemenz dafür kämpft, dass man die Kurve kriegt, bedeutet das, dass man den kommenden Tag entweder bei einem todlangweiligen Familienausflug verbringt, bei dem das Familienportfolio an Ausflugsbildern noch ein wenig aufpoliert wird oder man wird an einen anderen Teil der Familie weitergereicht, bei dem dann der Prozess des Vortages von Neuem beginnt.
Aufgrund Erfahrungen dieser Art, habe ich mir zunehmend schwer getan, jeder Einladung nachzukommen und war froh, wenn ich mich ab und zu in einem Hostel abseilen konnte und wenigstens ein klein wenig Privatsphäre genießen konnte.
Bestimmt ist es ganz besonders extrem, wenn man mit dem Fahrrad im Iran unterwegs ist. Die meisten Menschen haben so etwas noch nicht gesehen und spätestens, wenn man erzählt, dass man den aus Deutschland kommt und die Strecke mit dem Fahrrad bewältigt hat, sprengt das die Vorstellungskraft der meisten Leute und es geht ein Alarmsignal los, dass ein armer aufgeschmissener Reisender in einem fremden Land mit dem Fahrrad unterwegs ist und total  ausgehungert und hilflos sein muss. Ich kann mir vorstellen, dass man als "normal Reisender" ein wenig mehr in Ruhe gelassen wird, bzw. habe ich auch selbst erlebt, dass ich, sobald ich in Städten meine Radmontur gegen eine normale Garderobe getauscht habe, mich frei bewegen konnte, ohne innerhalb von Sekunden von Menschentrauben belagert zu werden.


Chicken or Beef?!

Essen im Iran

Enttäuschungen sind die Kinder von Erwartungen. So lässt sich das ganze wohl zusammenfassen. Ich weiß nicht wieso ich mit einer so hohen Erwartungshaltung an die iranische Küche hierher gekommen bin, aber in meinem Kopf war ein großer Bestandteil dessen, was ich mir unter der persischen Hochkultur vorgestellt habe, eine abwechslungsreiche, frische, würzige Küche. Leider musste ich schnell feststellen, dass ich da komplett daneben lag. Abwechslungsreich, frisch und würzig wurde es nur dann, wenn ich selbst gekocht habe. An allen anderen Tagen gab es Kebab. Fleisch auf Spieß mit Brot. Wenn ich viel Glück hatte gab es noch eine gegrillte Tomate dazu. Die einzige Variationen bestanden daraus, ob es sich um Hühnchen oder Rinderfleisch handelte und wie das Fleisch zuvor eingelegt wurde. Auch hier hatte ich das Gefühl, dass jedes Geheimrezept des besten Kebabs der Welt, eine sehr große Ähnlichkeit zu den anderen fünf besten Kebabs der Welt hatte, die ich zuvor probiert habe. Hatte ich bei einer Einladung viel Glück, gab es ausnahmsweise kein Kebab. Die beiden Male, die das der Fall war, gab es Hühnchen mit Reis. Es schmeckte nach Kebab. Die Highlights waren für mich ganz klar der butterige Safranreis und ein vegetarisches Gericht, auf das ich zufällig an meinem ersten Abend in Tabriz gestoßen bin. Kartoffel, Ei, Butter und frische Gewürze vermanscht und in einen Wrap eingerollt. Super einfach und mit Abstand das Beste, was ich während meines gesamten Iran-Aufenthalts gegessen hab'! Leider war es eine Spezialität aus dieser Region und ich sollte während meines gesamten weiteren Iran-Aufenthalts vergeblich danach suchen.
Es gibt jedoch eine große Ausnahme, bei der ich nicht enttäuscht wurde. Die Süßsspeisen! Alles um das Thema Dessert haben die Perser richtig drauf! Kein wunder also, dass ich im Iran das ein oder andere Kilo zugelegt habe! :D


Mein Iran-Fazit

Einer meiner Gastgeber im Iran hat einen interessanten Satz gesagt: "Der Islam ist nicht schlecht! Schlecht ist nur, dass unsere Regierung gewaltsam versucht, all ihre Bürger am Ende ihres Lebens in 's Paradis zu bringen."
Ich finde dieses Zitat sehr schön und zutreffend.
Ich bin selbst nicht Gläubig und die bloße Vorstellung, in einem Land zu Leben in dem mir vorgschrieben würde, was ich zu denken, bzw. zu glauben habe, löst bei mir klaustrophobische Zustände aus. Und so habe ich oft in Gesprächen mit Leuten im Iran zu hören bekommen, dass sie sich gefnagen fühlen und es Beklemmungen in ihnen auslöst, dass sie in ihrem eigenen Land derartig beeinflusst, zensiert und reglementiert werden. Ganz besonders in Hinsicht auf Beziehungen zwischen Mann und Frau, die in der Form, wie wir es aus Deutschland kennen, sittenwidrig und somit nicht gestattet ist, finde ich in höchstem Maße kritikwürdig! Erstaunlicherweise habe ich mich an manchen Tagen von den Iranern gleichermaßen erdrückt und eingeengt gefühlt. Meine Gönner und Gastgeber wollten mir eine derart paradisische Zeit bescheren, dass ich mich eingesperrt und bevormundet gefühlt habe. Angesprochen, eingeladen und nach meiner Herkunft gefragt zu werden, hat bei mir nach ca. zwei bis drei Wochen, richtige Beklemmungszustände bereitet, weshalb ich teilweise nett gemeinte Fragen ignoriert oder als ich krank und gereizt war, sogar unfreundlich beantwortet habe. Das ist traurig, denn wie ich bereits betont habe, meint keiner der Leute es böse mit einem und es ist unfair, jemandem in diesem Zusammenhang mit Mißgunst zu begegnen, aber wer nicht mit einer engelsgleichen Geduld ausgestattet ist, hält das meiner Meinung in diesem Maße nicht lange aus.
Der Iran ist wirklich grundlegend anders, als alles was ich bislang erlebt habe. Das Fremde kennenzulernen ist wohl eine der Hauptmotivationen des Reisens. Nichts desto trotz, muss man nicht alles was fremd ist auch automatisch gut finden. So bleibt mir der Iran als ein Reiseziel in Erinnerung, dessen Zweischneidigkeit kaum größer sein könnte.

Auf der einen Seite steht ein Land, mit einer wahnsinnigen Historie, uralten kulturellen Schätzen, einer größtenteils gut ausgebildeten jungen Bewölkerung, die in Sachen Offenherzigkeit und Wissensdurst ihresgleichen sucht.
Auf der anderen Seite, steht eine Regierung, die ihrer Bevölkerung vorschreibt, was sie zu Glauben hat, sie mit einseitiger Propaganda und Zensur verblendet, gut ausgebildete, motivierte, junge Menschen zur Antriebslosigkeit erzieht und vielen Menschen keine Möglichkeit gibt sich zu entfalten. Außerdem ist es eine Regierung, die aufgrund von Öl- und Gasvorkommen, eigentlich über Reichtum verfügt, wovon ein Großteil der Bevölkerung jedoch nichts mitbekommt. Die Wirtschaft wird geradewegs vor den Augen aller Beteiligten und Betroffenen vor die Wand gefahren. Kulturstätten werden für den Tourismus ausgebeutet, jedoch nicht gepflegt und die persische Hochkultur und ein großer Teil ihrer Geschichte, wird vernachlässigt, weil gerade zu den florierenden Zeiten dieses Landes die nun herrschenden Mullahs, die meiste Zeit nicht an der Macht waren.

Der Iran ist also ein Land, zu dem ich persönlich in gewisser Weise eine Hassliebe entwickelt habe. Er hat mich umarmt und verzaubert und zugleich in vielen Momenten unwahrscheinlich wütend gemacht!
Bin ich glücklich, dass ich in den Iran gefahren bin? Ja! denn so viel habe ich bislang in keinem Land gelernt.

Werde ich wiederkommen? Wahrscheinlich nicht, so lange sich nicht etwas an der Regierungssituation ändert. Sicher werde ich jedoch nicht mit dem Fahrrad wiederkommen.

Empfehle ich in den Iran zu reisen? Auf jeden Fall! Jeder Mensch sollte sich selbst ein Bild davon machen, wie es hier zugeht und in Sachen Freundlichkeit und Großzügigkeit werde ich mir auf jeden Fall eine große Scheibe von den Iranern abscheiden. Ich finde wir sollten öfter Kekse kaufen, einzig aus dem Zweck sie an der Kasse oder vor dem Geschäft allen Anwesenden anzubieten und ihnen eine Freude zu bereiten. Auch fremde Menschen zu sich nach Hause zum Essen einzuladen, sollte in unserer Kultur wieder häufiger stattfinden. Ich werde dabei jedoch einen unterschied ganz klar beherzigen: Ich werde den Personen an der Kasse den Keks nur einmal anbieten und wenn mein Gegenüber ablehnt, werde ich das respektieren und nicht noch weitere fünf Mal fragen. Die Person wird schon ihre Gründe haben, und wenn sie nur aus Höflichkeit ablehnt, ist das auch eine Entscheidung die man respektieren sollte!