Woche 40 - unverhofft kommt sehr oft

Tage 271 - 277
Wie jedes größere Projekt, wächst, gedeiht, wandelt und verändert sich meine Reise stetig. Das habe ich schon häufiger erwähnt. Ich habe dieses Phänomen ziemlich ausgereizt und nach kurzer Zeit einfach so getan, als hätte es nie einen Plan gegeben. Ich bin mit dem Flow gegangen und habe dabei auch keine meiner Entscheidungen bereut. Alles hat seinen Sinn und es kommt eben wie es kommt. Meist sind es bewusste Entscheidungen, die man trifft. Man ändert den Zeitplan, weil sich eine Begegnung mit Freunden ergibt, die man treffen möchte. Man ändert die Route, weil man etwas kulturelles oder geschichtliches dazu lernt und deshalb einen Ort besuchen möchte, den man zuvor noch nicht auf dem Schirm hatte. Oder man ändert den Plan, weil man beschließt einmal quer über eine Insel zu laufen. In manchen Fällen, wird einem jedoch auch einfach das Entscheidungszepter aus der Hand genommen und man muss sich dann möglichst schnell anpassen und mit den äußeren Umständen arrangieren.
Genauso ist es mir ergangen, als ich diese Woche mit meinen beiden sperrigen Gepäckstücken am Flughafen in Hanoi stand, um für meinen Flug nach Minsk einzuchecken, von wo aus ich mich auf meine Schlussetappe begeben wollte. Ich war knapp dran. Zum Glück hatte ich mein Fahrrad bereits am Tag zuvor zum Flughafen gebracht, versiegeln und einlagern lassen. Der Einfachheit halber, stelle ich das folgende Gespräch zwischen der Schalterfrau und mir in Deutsch nach:
„Guten Morgen, Ihren Pass bitte.“
Reiche Pass.
„Nach Minsk? Zwei Gepäckstücke? Bitte legen Sie sie auf das Band.“
Hieve auf’s Band.

„Entschuldigen Sie… Ich kann leider ihr Russland-Visum nicht finden. Haben Sie ein extra Dokument?“

„Nein, ich habe kein Russland-Visum. Deshalb fliege ich weiter nach Minsk.“

„Oh. Das ist schlecht. Ohne Russland-Visum, kann ich sie für diesen Flug leider nicht einchecken.“

„Aber ich habe mich doch informiert. Für Belarus brauche ich als Deutscher kein Visum. Und den Flughafen von Moskau verlasse ich binnen 24 Stunden wieder, also brauche ich für diesen Zwischenstopp auch kein Visum.“

„Hm… Das wäre an sich richtig. Leider habe ich die Information vorliegen, dass Belarus in diesem Fall nicht als Ausreiseland zählt. Sie befinden sich dann also quasi noch in Russland. Deshalb benötigen sie ein Visum. Tut mir leid.“
Ich blicke auf die Uhr, 20 Minuten bis Boarding. Fange spontan an zu schwitzen…
„OK und was kann ich nun tun? Ich muss diesen Flug unbedingt erwischen.“
Denn tatsächlich hätte ich mir ein neues Flugticket für mich und mein Fahrrad einfach nicht leisten können. 
„Sie können ihren Anschlussflug von Moskau umbuchen. Das wird sie etwas Geld kosten, aber es ist die einzige Möglichkeit, wie ich Sie auf diesen Flug lassen kann.“


„Ja gut ehh… Und welche Möglichkeiten habe ich? Mir ist eigentlich egal wo ich hinfliege, Hauptsache nach Europa.“


„Moment. Ich schaue das mal eben nach… Hm, der günstigste Flug auf den Sie samt Fahrrad umbuchen können, ginge nach Wien.“


„OK. Gibt es noch andere Möglichkeiten?“


„Keine empfehlenswerten. Sie könnten innerhalb der 24 Stunden mit Aeroflot noch nach Frankfurt, Kiew oder London fliegen, aber das wäre doppelt so teuer.“
„OK cool. Vienna it is. Wie viel schulde ich ihnen?“


„2.790.000 Dong“


„Alles klar!“ Schiebe Visa Karte über den Schalter.


„Leider können Sie nur Bar bezahlen“


„What?!“ Begleitet von Flüchen und Gedanken wie: Willkommen im 21. Jahrhundert, renne ich also zum ATM, um Bargeld abzuheben. Zurück am Schalter bezahle ich das Ticket und gebe mein Gepäck auf. Mittlerweile ist der Flug bereits aufgerufen worden und ich bekomme für die Gepäckkontrolle einen Priority Pass. Während ich an den Menschenschlangen vorbei hechte, schicke ich eine Sprachnachricht an meine Tante Uschi. Wer diese Reise von Anfang an verfolgt hat, erinnert sich bestimmt, an meine erste Station, bei meiner Großtante und ihrer Tochter Lily in Wien.
„Ja Hallo liebe Uschi. Also folgendes… Ich komme heute Abend nach Wien. 22:00 Uhr lande ich. Total verrückte Geschichte. Bist du da?“
Einmal durch den Scan, alles gut. Als letzter Passagier gehe ich in den Tunnel Richtung Flugzeug nach Moskau. Zehn Stunden später komme ich in Moskau an und erhalte eine Antwort auf meine Nachricht, als ich mich im Flughafen WLAN anmelde. 
„Hallo Marc. Schöne Überraschung!! 22:00 Uhr von Moskau? Ich hole dich ab. Freue mich, bis dann!“
Während ich die letzten zehn Stunden noch recht entspannt war, Film geschaut und geschlafen habe und gar nicht richtig geschnallt habe, was eigentlich passiert ist, geht mir jetzt auf einmal richtig die Pumpe! Ich fasse es nicht! Heute Abend, werde ich kühle Heimatluft um die Nase haben. Die Menschen auf der Straße werden beinahe deutsch sprechen und es gibt wieder Laugengebäck! Außerdem sehe ich meine Tante Uschi! Plötzlich war ich aufgeregt, nervös und unruhig. Aber in allererster Linie war ich eins: Unfassbar glücklich!

Einen Tag vorher. Auch glücklich aber noch ziemlich ahnungslos
Einen Tag vorher. Auch glücklich aber noch ziemlich ahnungslos

Diesmal konnte ich im Flugzeug nicht mehr schlafen. Ich lenkte mich mit meinem Buch ab, konnte mich aber auch nicht richtig konzentrieren. Als wir in Wien landeten konnte ich kaum noch ruhig sitzen. Raus aus dem Flieger, durch die Passkontrolle und dann einen Gepäcktrollie holen. Für die Trollies am Wiener Flughafen braucht man eine 1€ Münze. Entschuldigung, aber wie bescheuert ist das denn?! An einem internationalen Flughafen, an dem Menschen aus allen Hergottsländern der Welt landen und sicher die Hälfte der Leute keine Euros in der Tasche haben. Aber gut, das ist ein anderes Thema. Ich hob also 10€ ab, kaufte mir ein Wasser an einem Automaten, bei dem man auch mit Scheinen bezahlen konnte und hatte nun einen Euro für meinen Trollie. Mir war das jetzt alles Wurscht und ich konnte mich auch nicht mehr darüber aufregen. Das Band für das normale Gepäck und das Sperrgepäck-Band waren exakt an den gegenüberliegenden Seiten der Halle. Ich lief also zunächst zum normalen Band. Dort entdeckte ich sofort mein unförmiges Bündel aus zusammengeschnürten Fahrradpacktaschen.
Anschließend ging ich wieder zurück und stand ca. eine halbe Stunde vor dem Sperrgepäckband, ehe mir klar wurde, dass mein Fahrrad heute wohl leider nicht mehr eintreffen würde. Ich war mittlerweile schon wieder etwas ruhiger geworden. Ich ging also zum Schalter und gab eine Vermisstenmeldung für mein Fahrrad auf. Es war noch in Moskau. „Die schicken das dann in den nächsten Tagen nach. Wir informieren Sie dann… Wie Sie haben keine Handynummer?!? Na dann eben per e-Mail.“
Ich habe das schon häufiger beschrieben, aber auch hier merkte ich, dass solche Umstände einen dann nicht mehr aus der Bahn werfen, wenn man vorher einfach schon damit rechnet, dass so etwas passiert. Ich war ehrlich gesagt nicht mal überrascht, dass bei so einer Harakiri Umbuchungsaktion nochmal irgendetwas schief geht. Auch wenn das Eine mit dem Anderen gar nichts zu tun hatte. 


Das Fahrrad wurde zum Glück nachgeliefert
Das Fahrrad wurde zum Glück nachgeliefert

Endlich erlöst, konnte ich nun also nach draußen, wo meine Tante Uschi schon geduldig auf mich wartete. Wir fielen uns in die Arme und mir gleichzeitig eine ungemeine Last von den Schultern. Wir hatten uns natürlich wahnsinnig viel zu erzählen und sie sagte mir, dass ich gerne so lange bleiben kann, wie ich es für nötig halte. Die nächsten Tage nutzte ich, um mich ein wenig zu sortieren und diesen Hammer erstmal zu verdauen. Ich ging mit Uschi auf eine Kunstausstellung, kochte in einer richtigen Küche, aß mein heiß ersehntes Laugengebäck und informierte alle meine Freunde und Verwandten, von dieser bemerkenswerten Wendung des Schicksals.

Ein echter Rubens? Kunstausstellung in der Albertina
Ein echter Rubens? Kunstausstellung in der Albertina

Draußen regnete es die meiste Zeit und hatte etwa 15 Grad. Ich fand es herrlich. Die kühle, frische Luft einzuatmen und nicht beim Öffnen des Fensters bereits vier Liter Flüssigkeit in Form von Schweiß zu verlieren, stimmte mich ebenso glücklich, wie den Rest der Familie mißmutig. Natürlich umtrieb mich nun ein wenig die Frage, ob es das jetzt wirklich war. Ob es nun einfach Zeit war nach Hause zu fahren, quasi auf dem selben Weg, wie ich die Reise begonnen hatte. Bin ich dafür schon bereit? Nicht ganz! 
Und so setzte ich mich hin und machte noch einen letzten Plan, für meine letzte Etappe. Drei Wochen soll es nun noch einmal weitergehen, ehe ich nach Hause zurückkehre.
Die Stationen auf dem Weg heißen: Maribor, Ljubljana, Rijeka, Sibenik, Split, -Fähre-, Ancona, Rimini, Bologna, Verona, Nago-Torbole, Bozen und Innsbruck, ehe es nach Hause geht. 
Ich freue mich tierisch, bei diesem Klima noch einmal drei Wochen durch atemberaubende Landschaften zu fahren.
Ich werde in diesen letzten drei Wochen nicht mehr bloggen. Wer mich dennoch verfolgen will, kann dies auf Strava tun, dort werde ich weiterhin meine Aktivitäten veröffentlichen. Wer mich unterwegs treffen oder begleiten will, kann mich gerne anschreiben. Nun bin ich ja wirklich nicht mehr weit weg! In diesem Sinne schicke ich euch viele Grüße und bedanke mich für eure Aufmerksamkeit! ;)

Die letzte Runde. Los geht's
Die letzte Runde. Los geht's