Woche 39 - Eine Woche im Zen-Kloster

Was für eine außergewöhnliche Woche! Ich habe, auf der Suche nach einer Möglichkeit etwas mehr über den Buddhismus und vor allem Meditation zu lernen, das Internet durchforstet und bin dabei auf das Truc Lam Zen-Kloster in Vin-Phuc gestoßen. Das Kloster ist 70 Kilometer von Hanoi entfernt und so habe ich mich Samstagmorgen direkt nach dem Frühstück auf den Weg begeben. Hier im Norden regnet es momentan noch weniger als im Süden, dafür ist es unwahrscheinlich schwül und dadurch auch nicht viel trockener, so viel wie man schwitzt. Wenn man in Vinh-Phuc ankommt, ist das Kloster bereits am Horizont auf einem der vielen Berge zu sehen, die das Dorf umgeben.

Nicht zu verfehlen: Der breite Weg Richtung Kloster mit dem Kloster bereits in Sichtweite.
Nicht zu verfehlen: Der breite Weg Richtung Kloster mit dem Kloster bereits in Sichtweite.

Das Dorf ist nicht groß und der Weg Richtung Kloster ist sehr leicht zu finden, da es sich um eine außergewöhnlich breite Straße handelt, die zu einem ebenfalls außergewöhnlich großen und sehr eindrucksvollen Torbogen führt. Man fühlt sich klein, wenn man durch den mächtigen Torbogen hindurch schreitet und es macht sich bereits hier eine sehr erhabene Stimmung breit.

Der imposante Torbogen eröffnet das eindrucksvolle Tempelareal
Der imposante Torbogen eröffnet das eindrucksvolle Tempelareal

Anschließend begann meine „kurze“ Wanderung. Hier ist mir der Fehler unterlaufen, dass ich mich anstatt von meinem Gefühl leiten zu lassen, auf die Auskunft einer der vielen Straßenhändler und eines Polizisten verlassen habe. Was ich nämlich nicht wusste ist, dass es neben dem Kloster auch noch einen buddhistischen Tempel gibt. Er ist eine touristische Hauptattraktion und natürlich der Ort, wo man als Tourist hingeleitet wird, wenn man sich nicht eindeutig genug erkundigt. Zu dem Tempel gibt es einen Fußweg, man kann ihn jedoch auch mit der Seilbahn erreichen. Das kam mir für ein abgeschiedenes Meditations-Retreat schon einmal reichlich komisch vor, dennoch habe ich mich auf die Aussage verlassen und natürlich den Fußweg gewählt. Gesäumt von zahlreichen Souvenir-Shops und Restaurants, schlängelte sich der Weg in die falsche Richtung den Berg hinauf. Ich wurde von dutzenden Verkäufern angeplärrt und teilweise sogar beinahe in Cafés gezerrt und in mir machte sich bereits eine gewisse Enttäuschung über die Desillusionierung breit, dass ich mit der Wahl meiner Rückzugsstätte wohl eine Niete gezogen habe. Als ich dann oben auf dem Berg angekommen bin, bemerkte ich den Irrtum endgültig, zückte endlich mein Handy und schaute mir den Weg auf der Karte nochmal genauer an. Dieser Ausflug hat mich insgesamt zwei Stunden gekostet und als ich wieder im Tal angekommen bin und schwitzend in die andere Richtung an den Verkaufsständen vorbeiging, konnten sich einige der Verkäufer ein lautes Lachen über den dummen Weißen nicht verkneifen. Wer mag es ihnen verdenken. 
Von unten ging ich also nun auf der richtigen Seite den Berg hoch und merkte schnell, dass ich mich nun auf dem richtigen Weg befand. Die Verkaufsstände wichen Bäumen und die lauten Rufe der Verkäufer wurden durch Vogelgezwitscher ersetzt. Das war schon mehr nach meinem Geschmack. Nach zwanzig Minuten kam ich oben beim Kloster an und wurde von einer großen Treppe in Empfang genommen. So einfach hätte es sein können.

Der Ausblick von hier oben war atemberaubend und die Stille schon deutlich mehr nach meinem Geschmack. Schon bald lief ich dem ersten Mönch in orangener Kutte entgegen. Ich erklärte ihm, dass ich vergangene Woche angerufen hatte und nun für eine Woche zum Meditieren zu Gast sein werde. Er hörte sich alles geduldig an, sagte etwas in vietnamesisch zu mir und bedeutete mir, ihm zu folgen. Später fand ich heraus, dass er kein Wort englisch versteht und mich nicht wegen meiner Auskünfte zum richtigen Mönch brachte, sondern nur, weil der Aufseher der Novizen, tatsächlich der einzige Mönch im Kloster ist, der wenigstens ein paar Wörter Englisch spricht. Von meinem Aufseher wurde ich bereits erwartet, weil ich der einzige war, der angerufen hatte. Ich wurde über die Regeln und den Tagesablauf im Kloster aufgeklärt.

Anschließend musste ich mich in einem Buch eintragen und meinen Geldbeutel, mein Handy und alle technischen Geräte bei ihm abgeben. Meine GoPro hatte ich deshalb schon weiter unten in meiner Tasche verstaut, da ich zwar gerne das Digitalfasten mitmachen, aber auch ein wenig dokumentieren wollte. Anschließend überreichte er mir zwei Garnituren grau-blauer Klamotten, die ich die nächste Woche über tragen sollte, sowie eine Taschenlampe und brachte mich zu meinem Zimmer. Ich war der einzige Gast, also hatte ich das Zimmer, das mit vier Holzpritschen und einem Schreibtisch ausgestattet war für mich alleine. Alle anderen Novizen waren in einem gemeinsamen Schlafsaal untergebracht. Ich war nicht traurig darüber alleine zu wohnen und richtete mich zunächst einmal ein wenig ein, duschte mich und zog meine Mönchskleidung an. Der nächste Programmpunkt war die abendliche Gebetszeremonie. Hierfür musste ich die lange Kutte anziehen.

Ich wurde direkt ins kalte Wasser geworfen. Die Gebetszeremonie, die jeden Tag von 17:45 - 18:30 Uhr stattfand, war ein zentraler Termin im Tagesablauf und fand in der großen Haupthalle statt. Zunächst reihten sich alle Mönche und Novizen ihrem Rang entsprechend auf (als Gast wurde ich immer vor den anderen Novizen eingereiht), anschließend schritten wir gemeinsam in die Halle und nahmen unsere Positionen ein. Ich machte einfach alles nach was meine Vorder- und Nebenmänner mir vormachten und so wurde eine dreiviertel Stunde lang, abwechselnd kniend, stehend und verbeugend gebetet. Ich war von meiner Wanderung komplett dehydriert, es hatte ca. 35 Grad (da konnten auch die zahlreichen Ventilatoren nicht helfen) und ich hatte, der Vorschrift nach, zwei lange Schichten Klamotten an. Bei dem ganzen Verbeugen und Knien wurde mir richtig schwummrig vor Augen und ich hatte das Gefühl jeden Moment aus den Latschen zu kippen. Ein klasse Einstieg wäre das gewesen: "Der blonde Deutsche, der bei seinem ersten Gebet umgekippt ist." Aber es ist alles gut gegangen und ich war ziemlich froh, als das Gebet nach 45 Minuten sein jähes Ende fand und wir uns ein letztes Mal vor der großen Buddha Statue und dem Altar verbeugten.

Die Zeit bis zur Abendmeditation stand zur freien Verfügung und ich konnte meinen Flüssigkeitshaushalt wieder ein wenig in den Griff bekommen. Dann ging es zum Meditieren. Das fand ebenfalls in der großen Haupthalle statt und wir waren wieder alle in unsere Gruppen aufgeteilt, die Mönche, männliche Novizen, die Nonnen und die Novizinnen, saßen jeweils zusammen in einer Gruppe in den vier Ecken der Halle. Ich hatte noch nie zuvor anderthalb Stunden am Stück meditiert und so viel kann ich sagen: Anderthalb Stunden sind lang. Vor allem, wenn man sie im Lotussitz verbringt. Zu Beginn muss man sich regelmäßig die eingeschlafenen Beine und Füße ausschütteln und strecken. Bei mir schmerzten besonders die Knie nach einer Weile sehr. Erst in meiner allerletzten Meditation schaffte ich es, die vollen anderthalb Stunden am Stück zu sitzen. Immerhin etwas, womit selbst die Mönche teilweise zu kämpfen haben.

Ich muss kurz meine Beine ausschütteln. ;)
Ich muss kurz meine Beine ausschütteln. ;)

Die Meditation wurde wieder von einigen Ritualen und Gebeten beendet, danach begaben sich alle in ihre Schlafgemächer, denn um drei Uhr ist bereits wieder Weckruf. Da ich mein Handy abgeben musste, hatte ich keinen Wecker. Auf dem Timetable, den mir mein Vorsteher am Vortag gezeigt hat, stand als erster Tagespunkt "3:00 - Wake them up". Dies galt aber offensichtlich nur für die anderen Novizen, denn als ich am nächsten Morgen um 4:30 von selbst aufgewacht bin, habe festgestellt, dass mich hier niemand aufweckt. Peinlich berührt, bin ich um fünf Uhr also runter zur Haupthalle geschlichen und habe mir meinen verdienten Spott abgeholt. Richtig böse war aber keiner mit mir. Zwischen der Morgenmeditation und dem Frühstück war eine dreiviertel Stunde Zeit, in der ich jeden Tag den Bereich vor meinem Zimmer saubermachen sollte. Nach dem Motto: "Erstmal vor der eigenen Haustür kehren." Um sechs Uhr war Zeit für's Frühstück. Auch hier gab es wieder einen festen Ablauf und eine Zeremonie. Mit der Schüssel für das Essen in der Hand, wanderten wir in gebückter Haltung und in Reih und Glied zum Speisesaal. Hier verbeugten wir uns der Reihe nach vor Buddha, dann wurde sich angestellt und jeder konnte sich  von dem Buffet in die Schüssel schaufeln. Man musste vorher wissen, wie viel Hunger man hat, denn Nachschlag gab es nicht. Ein Punkt der vorausgesetzt wird, wenn man den ganzen Tag in Achtsamkeit mit sich selbst verbringt. Danach begaben sich alle, wieder in die vier unterschiedlichen Gruppen unterteilt, auf ihre Plätze. Gegessen wurde jedoch noch nicht. Zuerst wird gemeinsam gesungen und gebetet. Sowohl vor, als auch nach dem Essen, ist es dieselbe Prozedur und während des Essens wird geschwiegen. Da das Essen mehr als reine Nahrungsaufnahme und ein sehr wichtiger Bestandteil der Zen-Kultur ist, wird dem Essen eine sehr hohe Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegen gebracht. Ein Punkt, den ich sehr wichtig und schön finde, da wir meiner Meinung nach, in unserer modernen Gesellschaft, wo man 24/7 Zugriff auf Nahrung hat und häufig nur „nebenbei“ oder „schnell“ isst, dem Thema viel zu wenig Wertschätzung entgegenbringt. Ein elementarer Bestandteil des buddhistischen Glaubens ist die Achtung aller Lebewesen, weshalb es ausschließlich vegetarische Kost gibt. Ein weiterer Punkt, der mir sehr zugesagt hat.

Das Gebet vor dem Essen
Das Gebet vor dem Essen

Nach dem Frühstück durfte man sich kurz entspannen, ehe es an die Arbeit ging. Entweder trug man etwas zur Aufrechterhaltung des Klosterbetriebs bei oder es wurde gekehrt. Ich habe 90 Prozent der Arbeitszeit mit Kehren verbracht. Das Kehren steht gleich für mehrere Prinzipien. Zum einen ist es eine meditative Tätigkeit und zum anderen ein reinigender Prozess. Wer seine Umgebung reinigt, reinigt auch sich selbst. Wer mich kennt weiß, dass ich gerne sauber mache und so hatte ich mit Kehren als meine Hauptbeschäftigung überhaupt kein Problem. Nur wenn ich einen Bereich kehren sollte, den ich am Tag zuvor schon gekehrt hatte und der eigentlich schon komplett sauber war, fand ich es etwas frustrierend.
Anschließend war eine halbe Stunde Zeit sich zu waschen und auf das Mittagessen vorzubereiten, wo der Prozess, den wir bereits vom Frühstück kennen wiederholt wurde. Für mich kam nun die schönste Zeit des Tages. Erst Essen, dann Mittagsschlaf. Nach dem Mittagsschlaf war drei Stunden Studierzeit. Da alle verfügbaren Schriften auf vietnamesisch verfasst waren, bedeutete das für mich entweder mehr Zeit zu kehren oder zusätzliche Meditationszeit. Unter Aufsicht hatte ich dann weitere zwei bis drei Stunden Einzelmeditation, was bedeutet, dass ich insgesamt fünf bis sechs Stunden täglich mit meditieren beschäftigt war. 
Eigentlich geht es ja hauptsächlich darum, den Kopf frei von Gedanken zu machen, nur im Hier und Jetzt zu existieren und sich keine Gedanken über Vergangenheit oder Zukunft zu machen. Und auch wenn mir das zunehmend gelang und ich immer besser abschalten konnte, habe ich nicht mal beim Fahrradfahren ansatzweise so viel nachgedacht und reflektiert, wie in dieser Woche. Es ist einfach unumgänglich, dass man in so vielen Stunden der Stille, ab und zu den eigenen Gedanken nachgeht.

Durch die Routine ist diese Woche für mich sehr schnell vergangen und zugleich haben sich die vielen Stunden der Meditation teilweise angefühlt, wie durch Honig zu schwimmen. Besonders intensiv wurde es für mich dadurch, dass die Sprachbarriere dafür gesorgt hat, dass ich mich mit kaum jemanden unterhalten konnte. Trotzdem habe ich nach einer Woche ein tiefes Gefühl der Verbundenheit mit einigen Mönchen, Nonnen, Novizen und dem Kloster selbst empfunden und bei meinem Abschied war auch ein Tropfen Wehmut mit dabei und ich hatte tatsächlich das Gefühl, dass es einigen anderen mit mir genauso ging.

Diese Woche war eine sehr intensive, aber auch eine wahnsinnig interessante und aufschlussreiche Zeit für mich. Gerade nach der Schonfrist von drei Tagen, die von dem Kloster für Gäste vorgeschlagen wird, kamen einige interessante Momente und ich bin mir sicher, dass da noch viele spannende Momente gekommen wären. Es war ein guter Zeitraum für mich, mich von Stress und Rastlosigkeit zu lösen. Was geblieben ist, ist das Gefühl, aktuell nur noch wenig Platz für neue Erlebnisse in meinem Bewusstsein zu haben und dass die wachsende Sehnsucht nach engen persönlichen Bindungen und der Heimat, keine akkute Erscheinung sind und so habe ich beschlossen, nun das letzte Kapitel meiner Reise anzugehen.