Tage 238 - 244
20. - 26.4.2019
140,3 km
- Chachoengsao Reservoir; Thailand -
März 2015: Mein bester Freund William und ich sitzen in einem blauen Seat Ibiza und obwohl wir nebeneinander sitzen können wir uns nicht sehen, denn zwischen uns ragen zwei Surfbretter, beinahe
an die Windschutzscheibe. Wir sind auf dem Weg nach Frankreich, an die Atlantikküste. Genauer gesagt nach Hossegor, zwölf Tage Surfurlaub. Die Distanz, die wir von München aus mit dem Auto
fahren, entspricht ziemlich genau der Entfernung, die ich letzte Woche mit dem Fahrrad zurückgelegt habe. Wir haben für unseren Aufenthalt ein AirBNB gebucht. Als wir ankommen werden wir herzlich
von unserer Gastgeberin und ihren zwei Töchtern in Empfang genommen. Wir stellen fest, dass wir einem äußerst dummen Irrtum unterlagen, zu glauben, dass es sich bei ‚Fredérique‘ um einen
männlichen Gastgeber handelt. Wir überspielen unsere Verwunderunf und während sie uns unsere Zimmer zeigt, erklärt uns unsere Gastgeberin, dass außer den drei Damen noch ein Junge bei ihnen
wohne, ein Austauschschüler aus Thailand. Sie nennt ihn immer nur ‚another kid‘ und das finden wir reichlich komisch, denn wenn sie ihn nicht mal bei ihrem Namen nennen mag, wieso nimmt sie dann
überhaupt einen Austauschschüler bei sich auf. Beim späteren gemeinsamen Abendessen lernen wir ‚another kid‘ endlich kennen und es stellt sich heraus, dass wir auch hier wieder einem Namensirrtum
erlegen sind. Der Junge heißt nämlich Natthakit, ist 17 Jahre alt und stammt aus Bangkok.
Am Freitagabend, etwas mehr als vier Jahre später, treffe ich Natthakit in Bangkok zum Abendessen. Ich habe mal wieder Lust auf „was westliches“, er legt Wert auf Air Condition, also treffen wir
uns ganz ordinär in einer der zahlreichen Malls zum Pizza Essen. Es ist ziemlich cool ihn wieder zu sehen, denn als ich vor vier Jahren gesagt habe, dass ich ihn irgendwann in Bangkok besuchen
werde, habe ich selbst nicht so richtig daran geglaubt. Der Junge hat eine enorme Entwicklung durchgemacht. Er ist auf der Schauspielschule und verdient schon nebenbei ganz gutes Geld mit
Schauspielerei, als Englischlehrer und als Host auf englischsprachigen Veranstaltungen. Er wirkt außerdem viel lockerer und offener als noch vor vier Jahren. Wir sitzen zusammen und quatschen,
bis die Mall um 23:00 Uhr schließt. Danach gehen wir beide wieder unserer Wege.
Ich bin von der letzten Reisewoche so erschöpft, dass ich insgesamt dreimal morgens an die Rezeption schlurfe, 280 Bhat (umgerechnet 8€) auf den Tresen lege und meinen Aufenthalt um eine weitere
Nacht verlängere. Die Hitze in Thailand hat nun ihren Zenit erreicht und ich kann mir nicht vorstellen, mich wieder in das Inferno zu begeben und mich auf den Sattel zu schwingen. Stattdessen
verbringe ich lieber zahlreiche Stunden, im Schutz meines klimatisierten 4-Bett Schlafsaals und genieße die Vorzüge, in einer Großstadt alles was man braucht, direkt vor der Haustür zu haben. Zum
Beispiel ein Beer & Burger Restaurant, das auf der Getränkekarte neben vielen internationalen Bieren auch ein recht gutes deutsches Weißbier führt. In meinen schlaflosen Nächten habe ich
zuletzt häufig von Weißbier geträumt und so gönne ich mir mein erstes Weißbier seit dem 01. Juli. Ich darf zu meiner Freude sogar selbst einschenken und die Genugtuung, die mir das verschafft ist
nicht so leicht in Worte zu fassen.
Am nächsten Tag, beim Frühstück erfahre ich von den schlimmen Nachrichten aus Sri Lanka und nehme das zum Anlass einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, den Film über das ‚Running Sri Lanka‘
Projekt fertigzustellen (https://www.youtube.com/watch?v=TlDN8Lm-Qj0&t=2s). Ich telefoniere und schreibe mit all meinen Freunden in Sri Lanka und bin
schockiert über die Brutalität dieser Anschläge und betroffen von dem Leid und der Trauer, die dadurch verursacht wurde. Einer meiner Chefs aus dem Surf-Hostel hat Freunde verloren, ein anderer
Gastgeber von mir wohnt nur einen Kilometer von einer der Kirchen entfernt. Ein weiterer Schock kommt von der Freundin, die ich als erstes anrufe. Sie liegt im Krankenhaus in Colombo, aber mit
Dengue-Fieber und hat von den Anschlägen direkt nicht viel mitbekommen. Ein mulmiges Gefühl ereilt mich auch, als ich lese, dass einer der Anschläge im Luxus-Hotel „Shangri-La“ in Colombo verübt
wurde. Hier habe ich noch vor vier Wochen meine Wäsche zum Laundry-Service gegeben, weil ich im Hostel eine Straße weiter gewohnt habe.
Am selben Abend bekomme ich noch eine Nachricht von einer Freundin aus München. Da ich gerade eine Social-Media Pause eingelegt habe, weiß sie nicht, dass ich mich bereits seit vier Tagen in
Bangkok befinde. Sie schreibt, dass sie zwar nicht glaubt, dass ich schon da bin, aber sie wollte sich mal melden, da sie mit ihrem Freund Urlaub in Thailand macht und eben in Bangkok angekommen
ist. Am nächsten Morgen treffen wir uns zum Frühstück. Es ist cool nun auch jemanden aus meinem Münchener Freundeskreis zu treffen und über Leute und Geschichten aus der Heimat zu plaudern. Ich
habe an drei von fünf Tagen Leute getroffen die ich kenne und das am anderen Ende der Welt… Mit dem Fahrrad. Irgendwie ein extrem cooler Gedanke. Wobei ich gestehen muss, dass das in mir auch ein
gewisses Heimweh geweckt hat. Ich bin nun doch schon verdammt lange von zu Hause weg. Aber ich weiß erfahrungsgemäß mittlerweile auch, dass das in Wellen kommt und auch wieder schwächer wird.
Oder?!
Am Dienstag begebe ich mich dann Schlussendlich wieder auf die Straße. Ich muss in Bewegung bleiben oder geschlossene Räume mit Klimaanlage aufsuchen, denn ohne Klima oder Fahrtwind lässt es
sich nicht aushalten. In der ersten Nacht, die ich in der Hängematte hinter einem buddhistischen Kloster verbringe, kühlt es gerade mal auf 29 Grad herunter. Ich schwitze mir einen Wolf unter
meinem Moskitoschutz und mache kaum ein Auge zu. Dementsprechend gerädert bin ich auch am nächsten Tag. Ich fahre nur 60 Kilometer. In einer Ortschaft komme ich an einem Sportplatz vorbei und
sehe ein paar Jungs Fußball spielen. Ich frage per Zeichensprache, ob ich mitspielen kann und nach einer Stunde Fußball in der Hitze, gebe ich keinen Tropfen Blut mehr. Ein Eisbein, das ich beim
Fußball bekommen habe und mein ernstzunehmendes fortgeschrittenes Level an Dehydration bringen mich dazu, dass ich an einem Reservoir, wenige Kilometer von der Ortschaft anderthalb Tage Pause vom
Radfahren nehme. Ich schreibe diese Zeilen in einem Restaurant mit WLAN und gerade hat es angefangen richtig zu schütten. Mir wird bewusst, dass der Regen zwar die gewünschte Abkühlung bringt,
ich aber, wenn ich kein Dach über dem Kopf habe, vor einem ganz anderen Problem stehe!