Wochen 33 & 34

Tage 224 - 237
06. - 19.04.2019

1.306,95km

- Bangkok; Thailand -
Ich habe nun eine Woche nichts von mir hören lassen. Die Gründe dafür waren vielfältig und ich möchte heute im ersten Teil einmal ehrlich darauf eingehen, ehe ich im zweiten Teil von den letzten beiden Wochen berichte. 

Grund Nummer eins ist recht schnell erklärt und liegt in der Kilometeranzahl begründet, die bereits in der dritten Zeile zu finden ist. Ich bin in elf Tagen 1.307 Kilometer gefahren. Das sind durchschnittlich knapp 119 Kilometer am Tag. Wer schon mal eine längere Strecke auf dem Rad gefahren ist, weiß, dass auch für Leute die es gewohnt sind, eine Radausfahrt immer nach ca. 90 bis 100 Kilometern langsam etwas zäher wird oder zumindest als „lange Fahrt“ gilt. Ich bin in meinem Leben noch nie so eine weite Strecke in solch kurzer Zeit gefahren. Nicht mal, als ich vergangenes Jahr zur Vorbereitung auf den Iron Man, im Trainingslager auf Mallorca war und da hatte ich nicht vierzig Kilo zusätzliches Gewicht auf meinem Rad. Also habe ich in diesem Zeitraum wirklich all meine Kräfte auf das Radfahren konzentrieren wollen und mir vorgenommen, die Zeiten in denen ich nicht gerade im Sattel sitze, wirklich zur Entspannung zu nutzen. Warum ich mich überhaupt dieser Qual ausgesetzt habe, erkläre ich im zweiten Teil des Textes.

Der zweite Grund ist, dass ich mich aufgrund der Erschöpfung auch nicht in der Lage gesehen habe einen schönen Text zu schreiben und auch wenn es bei einem regelmäßigen Online-Tagebuch darum geht, einfach die Gedanken und Erlebnisse zusammenzufassen und nicht darum, ein belletristisches Hauptwerk zu erschaffen, habe ich doch immer den Anspruch an mich selbst, Texte zu schreiben, die sich meiner Meinung nach einigermaßen gut lesen lassen. Alles andere würde ich einfach nicht gerne Online stellen.

Grund Nummer drei ist, dass mein Tagebuch als Futter für eine Kolumne in einer Zeitung in meiner Heimat dient. Zunächst einmal ist es sehr erfreulich, dass eine Zeitung sich überhaupt bereit erklärt hat, zu drucken was ich schreibe und somit habe ich auch die Chance jeden Samstag Menschen zu erreichen, die mir nicht online folgen (können) bzw. hat dadurch meine Reichweite zu Beginn der Reise sicher auch einen kleinen Push bekommen. Diese Medaille hat jedoch für mich auch eine dicke Kehrseite und gerade in schwierigeren Momenten, macht man sich häufig besonders über die negativen Aspekte viele Gedanken. 
Dadurch, dass die Geschichten nämlich in jeder Samstagsausgabe erscheinen, habe ich mich darauf festgelegt, meine Updates immer freitags zu schreiben und auch wenn eine gewisse Regelmäßigkeit für alle beteiligten angenehm ist und auch die Leute die mir Online folgen, wissen: „Am Wochenende kann ich wieder beim Marc reinschauen und da gibt es dann eine neue Geschichte zu lesen“, entsteht für mich dadurch natürlich auch ein gewisser Druck und häufig verspüre ich auf meiner Reise eben gerade den Wunsch, solche Formen des äußerlichen Drucks abzulegen. Das ist mein eigenes Verschulden und nicht das der Zeitung! (nachträgliche Anmerkung)
Viel entscheidender ist jedoch, dass die Zeitung sich hauptsächlich deshalb dafür entschieden hat über meine Geschichte zu berichten, weil ich im Landkreis meiner Heimat nur als „der Sohn der Brauereifamilie Bernreuther“ bekannt bin. Und genau als der werde ich nun auch seit 33 Wochen betitelt. Meinen Vornamen haben sie in der vorletzten Ausgabe sogar falsch geschrieben. Und das ist ehrlich gesagt der Punkt, der mich von allen am meisten stresst. Nicht, dass mein Name falsch geschrieben wird, das passiert mir jeden Tag. Sondern, dass auf dieser  Verbindung zwischen mir und der Firma meiner Mutter so krass beharrt wird. Das gibt nicht nur mir als eigenständiger Person, die in keiner bedeutenden Verbindung zu der Brauerei steht, ein mieses Gefühl, sondern dadurch entsteht für Außenstehende auch der Eindruck, dass die ganze Geschichte eine große Promo-Nummer für die Brauerei ist und ich mir die Reise schön bezahlen lasse. Dass ich seit dem Tag meiner Abfahrt im Pyraser Trikot unterwegs bin, rundet diesen Eindruck nur ab. Das ist jedoch weit fernab der Realität und, dass ich jeden Tag mit einem sehr knappen Budget rechnen muss und es dennoch ganz eng wird mit der Kohle, wird von einem Großteil der Menschen nicht wahrgenommen. Es sollte mir egal sein, was andere Leute von mir denken, aber in diesem Punkt bin ich empfindlich. Schon zu Beginn der Reise, habe ich mir über genau diesen Punkt viele Gedanken gemacht, doch ich habe es gerne hingenommen, da mir meine Mutter und auch die Brauerei als Unternehmen in den letzten Jahren und auch im Bezug auf die Reise und den dazugehörigen Vorbereitungen tatkräftig unter die Arme gegriffen hat. Doch der allergrößte Teil dessen, was ich auf diesem Weg erreicht und geschaffen habe, ist eben mein eigener Verdienst und den abgesprochen zu bekommen, wäre verletzend.
 Und auch an dieser Stelle kommt den Herausgebern der Zeitung keine Schuld zu, sondern das ist etwas, das ich selbst vor Beginn der Reise so in die Wege geleitet habe. Jedoch ein Faktor, über den ich im Nachhinein häufig gestolpert bin und mir dabei die Zehen verstaucht habe! (nachträgliche Anmerkung)

Und an vierter Stelle kam bei mir schließlich noch ein wenig Frust darüber auf, dass trotz stunden- bzw. tagelangen Schreibens, Videoschneidens und Webseite Umbauens, immer weniger Leute auf meine Homepage klicken oder meine Videos anschauen. Das ist natürlich frustrierend, da jeder der so etwas macht, erwartet, dass er seine Reichweite eher erhöht, statt verkleinert. Jedoch muss ich sagen, dass ich über diesen Frust recht schnell und einfach hinwegsehen kann, wenn ich mir vor Augen führe, wie viele wunderbare Nachrichten ich schon von Leuten bekommen habe, die an irgendeinem Punkt an diesem Projekt in Gedanken teilgenommen haben. Außerdem ist der Anspruch den ich hier an den Tag lege, natürlich auch mal wieder komplett verkehrt! Klar sind ein paar hundert Klicks auf Youtube nichts, wenn man es mit den Abertausend oder -millionen anderer Videos vergleicht. 
Aber wer anfängt zu vergleichen ist auch bescheuert. Stattdessen sollte ich mir vor Augen führen, dass ein paar hundert Leute meine Videos anschauen und meine Texte lesen. Das ist der Hammer! Dementsprechend geht hier ein dicker Gruß an euch alle raus und vor allem an diejenigen, die immer so fleißig dabei sind. Das ist verdammt cool und vielen Dank!!!
So und nun zum spannenden Teil!

In den letzten beiden Wochen habe ich viel erlebt! Nachdem ich das letzte Mal geschrieben habe, bin ich direkt an die thailändische Grenze gefahren. Diese habe ich jedoch nicht direkt überquert, sondern habe mich ganz spontan entschieden, noch einen Abstecher an die Hafenstadt Kota Bharu zu machen. In Khota Baru fand ausgerechnet an diesem Abend ein CityRun statt. Leider habe ich das erst erfahren, als ich auf der Suche nach Abendessen, plötzlich hunderte Menschen in Laufklamotten und mit Startnummern durch die Stadt habe pilgern sehen. Ich bin der Menge dann gefolgt, habe mir an einem der vielen Streetfood Stände etwas zu Essen geholt und mir dann den Start angeschaut. In diesem Moment war ich eigentlich ziemlich glücklich, ausnahmsweise nicht selbst hinter der Startlinie zu stehen, weil meine Beine vom Radfahren ja schon müde genug waren. Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass es mir in den Füßen gekribbelt hat. 
Am nächsten Tag stand „Pause“ auf dem Plan und ich habe die Zeit genutzt, um einen dicken Stapel Postkarten in Richtung Heimat zu schicken. Dafür habe ich beinahe den ganzen Tag gebraucht, es ist nämlich zeitaufwändiger als man denkt. Am Sonntag war es dann schließlich soweit, dass ich meinen Esel wieder gesattelt habe und mich auf den Weg zur thailändischen Grenze begeben habe. Mit der Fähre ging es über den Fluss und somit auch über die Grenze. Auf der anderen Seite musste ich dann mehreren sehr wichtigen Beamten erklären, dass ich kein Flugticket besitze, um das Land wieder zu verlassen, da ich ja schließlich mit dem Fahrrad reise und, dass ich ihnen leider auch keine Hotelbuchungen vorlegen könne und ja, mein Zielort ist „the border to Cambodia“. Ich muss mich in solchen Momenten immer enorm am Riemen reißen, denn obwohl ich weiß, dass man mit Freundlichkeit immer weiter kommt als wenn man genervt ist und obwohl ich weiß, dass diese Herren auch nur ihren Job machen, werde ich einfach nie das Gefühl los, dass die meisten dieser Herrschaften in Uniform gegen einen Minderwertigkeitskomplex kämpfen und die künstliche Autorität ihrer Beamtenrüstung schamlos ausnutzen, um andere Leute zu drangsalieren. Doch auch diese Hürde ließ sich nach einer knappen Stunde des Wiederkauens meiner eigenen Geschichte überwinden und so habe ich nach langen vier Monaten, mal wieder eine Landesgrenze mit dem Fahrrad passiert. Das letzte Mal ist das von UAE in den Oman erfolgt, stell sich das mal einer vor!
Mit dieser Grenzüberschreitung ging dann auch die ‚TorTour du Thailande‘ los, wie ich es nun im Nachhinein liebevoll nennen mag. Um aber ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass es zunächst überhaupt keine Tortour war. Der Süden Thailands ist nämlich wunderschön und ich konnte einzigartige Landschaften durchqueren. Das einzige Manko ist tatsächlich die enorme Vermüllung des Landes. Was bereits vor der eigenen Haustür (in Österreich) anfängt und sich wie ein roter Faden durch meine Reise gezogen hat, ist dass ich in der Natur unwahrscheinlich viel Müll sehe. Ich habe das an vielen Stellen auf meiner Reise bereits dokumentiert und kommentiert, so eine riesige Sauerei wie in Thailand habe ich jedoch bislang noch nirgendwo erlebt und wenn man in ein Geschäft in Thailand geht, bekommt man auch die Frage beantwortet, wo der Ärger herkommt. Einzeln in Plastik verpackte Bananen (wohlgemerkt Früchte mit einer recht robusten Schale), doppelt verpackte Kekspackungen (einzeln verpackte Kekse in einer größeren Verpackung) und alles in Mini Portionen. Möchte man beispielsweise Erdnüsse kaufen, gibt es diese meist nur in 35 Gramm Packungen, also kauft man halt fünf davon. Ein weiteres Problem ist der enorme Boom der zahlreichen Kaffeeketten, die es hier gibt. Dort bekommt man auch als Gast, der in dem Restaurant bleibt, seinen Kaffe in einer großen Plastikdose mit einem Strohhalm serviert. Als ich das zum ersten Mal erlebt habe, bin ich vom Glauben abgefallen und nehme seitdem immer meine Campingtasse mit in den Coffeeshop. Weil mich das so schockiert hat, habe ich zum ersten Mal das in Angriff genommen, was ich mir schon häufiger auf meiner Reise vorgenommen habe und bin unterwegs, an Stellen, wo ich Pause gemacht habe oder es mir besonders schlimm vorkam, angehalten um Müll zu sammeln, ein Paar große Müllsäcke voll zu machen und sie irgendwo anständig zu entsorgen. Problem hierbei war hauptsächlich, die Müllsäcke zu transportieren und ich habe mir einige Male einen Anhänger für mein Fahrrad gewünscht. Eine Idee für die Zukunft, die ich irgendwann noch in die Tat umsetzen möchte. 
Ein weiteres persönliches Highlight für mich war, als ich den ganz südlichen Teil Thailands an der Grenze zu Malaysia verlassen habe und merklich vom muslimischen Teil des Landes, in den buddhistischen Teil gekommen bin. Ich war seit dem Iran ausschließlich in islamischen Ländern unterwegs und ganz ohne eine Wertung einbringen zu wollen, kann ich einfach nur sagen, dass es für mich für außerordentliche Entspannung gesorgt hat, plötzlich nicht mehr fünf Mal täglich, den Gesang eines Muezin in den Ohren zu haben und von ebendiesem Gesang jedes Mal beim Campen geweckt zu werden. Dies ist ein heikles Thema, das man nicht in den falschen Hals bekommen darf! Ich lege äußersten Wert darauf zu betonen, dass ich größten Respekt davor habe, dass Leute frei ihre Religion ausleben können. Ich bin als Gast in diesen Ländern herzlich empfangen worden und kann und will überhaupt keinen Anspruch darauf stellen, dass sich irgendetwas daran ändert. Es ist ein Privileg, dass ich diese fremden Länder besuchen kann/darf und am Leben der Leute teilnehmen durfte. Nach sechs Monaten freute ich mich jedoch über die Abwechslung. (nachträgliche Anmerkung)
Außerdem finde ich die Tempel und Buddha-Statuen in sämtlichen Ausführungen einfach hübsch und es sorgt wirklich für ein schönes Landschaftsbild.

Eine große Schwierigkeit ergab sich für mich mit der Ernährung, denn was in Malaysia bereits begonnen hat, dass es kaum Gerichte ohne Fleisch gibt, wurde in Thailand noch extremer. Hier habe ich wirklich enorme Schwierigkeiten Restaurants zu finden, die vegetarische Gerichte anbieten und da ich das nötige Ersatzteil, um meinen Campingkocher in Betrieb zu setzen erst in Bangkok erhalten sollte, musste ich mich häufiger meinem Schicksal ergeben und ein vegetarisches Gericht „only with chicken“ zu mir nehmen. 

Wo wir auch schon bei dem Grund sind, warum ich es mir in den letzten zwei Wochen überhaupt so gegeben habe. Ein Freund von mir hat mich angeschrieben und mir mitgeteilt, dass er zusammen mit seiner Frau Urlaub in Thailand machen wird und er sich freuen würde mich zu sehen und mir außerdem auch gerne etwas aus Deutschland mitbringen kann. Der Versuchung zahlreiche Genussmittel aufzuzählen, habe ich widerstehen können und behalte mir somit noch einen Teil der Vorfreude auf die Heimat bei. Jedoch war es für das Ersatzteil perfekt, da ich mir nicht sicher war, ob ich es in Thailand so einfach finden würde. Außerdem bat ich ihn, mir anständiges Mückenspray mitzubringen. Das richtig giftige aus der Apotheke. Denn selbst wenn es das hier gäbe, ich kann die Etiketten nicht lesen und weiß daher nicht, was man sich bedenkenlos auf die Haut schmieren kann und was nicht. Und so kam es dann, dass wir uns für die Zeit verabredet haben, die sie in Bangkok sein würden, da sich das einigermaßen mit meinen Plänen überschnitt und deshalb bin ich diese Monsterstrecke in dem kurzen Zeitraum gefahren. Zugegebenermaßen, die letzten drei Tage bin ich wirklich auf dem Zahnfleisch gekrochen. Meine Haut hat unter Sonne, Schmutz und Schweiß enorm gelitten, der Hintern hat wehgetan und die Muskeln waren irgendwann komplett steif. Als ich in Bangkok angekommen bin, konnte ich nicht mal mehr einen anständigen Schulterblick machen, weil mein Nacken so steif war. Und die Temperaturen, um die vierzig Grad haben natürlich auch dafür gesorgt, dass ich trotz 15 Liter Wasser mit Elektrolyten am Tag eigentlich dauerhaft am Rande der Dehydration stand. 
Doch all diese Strapazen waren es Wert, als ich von meinen Freunden in Bangkok zum Abendessen und danach noch auf ein Bier eingeladen wurde. Wir hatten einen unglaublich schönen Abend und die Großzügigkeit der beiden treibt mir noch beim Schreiben dieser Zeilen die Tränen in die Augen. Durch diese Reise wird mir so oft klar, wie viele tolle Menschen ich bereits in meinem Leben habe, die mir ein so großes Maß an Liebe entgegen bringen, dass ich darüber häufig nur im Unglauben den Kopf schütteln kann.
In diesem Sinne! Frohe Ostern euch allen!